Rhonda Setchet'chá Mezkarai
Hátyat Ni Ordoreum
Als Charîm ihr Gemach verlassen hatte, ließ Rhonda sich erst einmal ins Bett zurückfallen. Sie fragte sich gerade, ob dieses Gespräch zwischen Bruder und Schwester wirklich real gewesen war, als ihr treuer Gesellschafter so manch durchforschter Nacht, ein eigenwilliger Kater, mit einem lauten Maunzen sein Kommen ankündigte und mit einem kraftvollen Sprung auf dem Fenstersims landete. Das frühe Morgenlicht zeichnete goldfarbene Lichter auf sein seidiges cremefarbenes Fell. Rhonda richtete sich halb auf und blickte ihm entgegen. Schlafen konnte sie jetzt ganz sicherlich nicht mehr. Weshalb auch, der heutige Morgen schien eine völlig neue Zeit einzuläuten. Ihre Müdigkeit war wie fortgeblasen, und sie fühlte sich wach und tatendurstig. Ganz anders als in jenem Augenblick, als Charîm mit duftenden Kaffee in ihr Gemach getreten war, sie unbarmherzig geweckt und sich völlig unbeeindruckt davon gezeigt hatte, daß sie erst wenige Stunden vorher in Borons Armen erholsamen Schlaf gefunden hatte. Schließlich hatte sie fast die ganze Nacht über dem kem'schen CCC und der Lex Horasia gesessen und am Beispiel des da Vancha-Falles vergleichende Rechtswissenschaft betrieben.
Nun, jedenfalls beherrschten die juristischen Feinheiten des Hochverratsprozesses derzeit nicht mehr ihr Denken. "Tefnut, mein Lieber", begrüßte sie den feingliedrigen Kater, der mit einem besitzergreifenden ‚Mrrrrrr' auf ihr Lager sprang und sich in ihre kosenden Hände schmiegte. Lange blickte sie in seine geheimnisvollen blauen Augen. "Hast du etwa gelauscht, mein Freund?" Die junge, dunkelhaarige Frau WUSchelte dem Kater liebevoll durchs weiche Fell. "Du blickst, als wüßtest Du, was mein gelehrter Bruder und ich vorhin besprachen." Mit einem Lachen entfloh sie seinen haschenden Pfoten, und während der Kater sich im morgendlichen Sonnenlicht räkelte, das einen leuchtenden Streifen auf ihre Kissen zeichnete, verrichtete sie ihre Morgentoilette, kleidete sich in ein fein gefälteltes Seidenkleid und steckte sich die Haare hoch. Bevor sie das Zimmer verließ, wandte sie sich noch einmal dem nun entspannt zusammengerollten Kater zu, strich ihm über den warmen, glänzenden Rücken und flüsterte ihm leise ein "Schlaf gut, mein Lieber. Ich werde jetzt zu Vater gehen. Wie es aussieht, wird sich einiges ändern" ins Ohr.
Es war in letzter Zeit nicht allzu oft vorgekommen, daß Rhonda die morgendliche Geschäftigkeit auf der Tánrat mit eigenen Augen erblickt hatte. Meist saß sie bis spät in die Nacht über irgendwelchen Büchern oder prüfte für Mechara die neuen Vertragsentwürfe. In der Nacht, wenn die Betriebsamkeit auf dem großen Anwesen langsam nachließ, dann kam die Zeit, in der sie, Rhonda Setchet'chá Mezkarai, ihres Zeichens Absolventin der ‚Dem Herrn Praios wohlgefälligen Fakultät für Göttliches und Menschliches Recht der Herzog-Eolan-Universität zu Methumis', geschäftig wurde. Ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder Charîm war sie ein absoluter Nachtmensch. Mit Schaudern erinnerte sie sich an die Zeit ihres Studiums zurück. Der Rector der juristischen Fakultät pflegte die Studiosi zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit daran zu erinnern, daß nur der frühe Vogel das Korn fände. Sein liebstes Zitat - sie würde es wohl noch in zwei Dekaden deklamieren können, wie sie amüsiert resümierte - lautete: ‚Der Morgen ist die Jugend des Tages. Man soll ihn weder durch spätes Aufstehen verkürzen noch an unwürdige Beschäftigungen oder Gespräche verschwenden, sondern ihn als die Quintessenz des Lebens betrachten.' Nun, selbst Seine Spektabilität hätte an ihrem heutigen Morgenprogramm sicher nichts auszusetzen. Der gestrenge Fakultätsleiter hätte wohl weder das Gespräch mit ihrem Vater noch die Beschäftigung mit der Zukunft der mezkarai'schen Erblande als Verschwendung bezeichnet.
Heute schien die frühe Stunde Rhondas Elan nicht zu bremsen, ganz im Gegenteil. Auf flinken Füßen machte sie sich auf zum Arbeitszimmer des Conseilarius, nur um dann verwundert festzustellen, daß er sich, entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten, nicht dort aufhielt. Die Türe, die auf den Arkadengang führte, stand noch offen, und so entschloß sie sich, im Innenhof nach ihrem Vater zu suchen.
Munteren Schrittes streifte sie durch die weitläufigen Anlagen, und schon von weitem sah sie den Rabenabt, der ihr aufrecht über den sauberen Kiesweg entgegen schritt. Als sie ihn erreicht hatte, blieb sie stehen und nickte ihm grüßend zu, eine Verbeugung andeutend. In ihren schwarzen Augen spiegelten sich die widersprüchlichen Gedanken wider, die das Gespräch mit ihrem Bruder geweckt hatten, und gleichzeitig zeigte ihr Lächeln viel von dem Stolz und der Freude, die sie empfand. "Guten Morgen, Vater."
'Meine Rhonda! Jetzt wird sie Nesetet!' Bakets Gedanken wanderten, als sie mit emsigen Händen das Linnen faltete und im Schrank verstaute. Ganz aufgeregt war sie damals Anfang des Jahres 3 S.G. gewesen, als sie ihren Dienst hier im Hause Mezkarai antrat. Die Herrin stand kurz vor der Entbindung und sie sollte die Menat des kleinen Derenbürgers werden. Das achte Kind der Herrschaften war die kleine Rhonda und schon früh zeigte sich ihr ungestümes Wesen und ihr starker Wille. Mit unzähligen Fragen hatte das Mädchen sie beschäftigt, als sie das Sprechen lernte und oft hatte sie alle Hände voll zu tun, den kleinen Wildfang im Zaum zu halten. Als Rhonda später im Unabhängigkeitskrieg als Späherin die Al'Anfaner Brut ausspionierte oder Botschaften zwischen den kleinen Gruppen Widerstandskämpfer hin und herbrachte, hatte die Kemi oft schlaflose Nächte verbracht und voller Sorge den Herrn Boron angefleht, daß das junge Mädchen unbeschadet wieder nach Hause kommen möge. Später dann, als Rhonda nach Methumis gegangen war, hatte sie aufmerksam deren Werdegang beobachtet. Jedesmal, wenn ihr, nun zu jungen Frau herangereifter Schützling nach Hause geschrieben hatte, hatte sie auch ihrer Amme einen Gruß oder eine kleine Nachricht zukommen lassen. All die Jahre, in denen Rhonda fern der Heimat weilte, hatte Baket so doch immer ein wenig gewußt, wie es ‚ihrer Kleinen' ging: von ihren anfänglichen Schwierigkeiten mit der horasischen Lebensart, ihrem Heimweh, aber auch ihrer Begeisterung für das Studium, ihren Kommilitonen und auch von ihrer Freundschaft mit der Cronprinzess. Als Rhonda vor zwei Götterläufen auf die Tánrat zurückgekehrt war, war ihre Freude groß gewesen. Aus dem Mädchen war eine junge Frau geworden. Eine Frau, die ihren Aufgaben als Juristin mit großer Hingabe und Freude nachkam, auf deren Einschätzungen und Urteilsvermögen man sich verlassen konnte und die den stürmischen Geist aller Mezkarais geerbt hatte.
Gedankenverloren stand die Nesetet Ordoreums am Fenster. In die Tiefen der Vergangenheit glitten ihre Gedanken, als sie den Sonnenuntergang betrachtete. ‚War es richtig dieses Misstrauen? Diese Zweifel? Rhuawn ist ein gutaussehender, höflicher, zuvorkommender Mann - stolz ehrenhaft, galant.' Rhonda rief sich ein Bild des jungen Hátyas ni Mer'imen in das Gedächtnis. ‚Geliebter Vater… nur der Herr weiß was aus diesem Bund zwischen Neuem und Altem erwachsen mag.' Schützend legte sie die Hände auf ihren Bauch - wie es werdende Mütter tun. Ein Lächeln stahl sich auf Rhondas Gesicht und sie gedachte zärtlich des werdenden Vaters und des werdendes Kindes.
Die junge Nesetet war nicht allzu groß, eher zierlich und schlank an Gestalt. Sie trug ein türkisfarbenes Kleid aus feinstem Leinen, das im traditionellen, schmalen kem'schen Stil geschnitten war, mit weichem Faltenwurf, die Konturen des Körpers umschmeichelnd, bis zu den Knöcheln fiel und den Blick auf die in leichten, mit Bändern geschnürten Sandalen steckenden Füße freigab. Der Linnen des Kleides wurde an der linken Schultern mit einer Fibel gehalten, welche zu einem Ensemble gehörte, das durch ein glückverheißendes altkem'sches Amulett aus Lapislazuli, welches sie an einer feinen goldenen Kette um den Hals trug, den dazugehörigen Ohrringen und einem feingliedrigen Gürtel, der ebenfalls mit Lapislazuli belegt ganz wunderbar mit dem dezenten Türkis ihres Kleides harmonierte, vervollständigt wurde. An den Händen trug sie einzig den Siegelring Ordoreums. Der kühle Farbton des Kleides ließ ihre leicht bronzefarbene Haut warm schimmern und die glänzenden schwarzen Haare waren in mehreren Zöpfen an den Kopf geflochten und fielen ihr in einem kunstvollen, mehrsträngigen Flechtwerk lang in den Rücken. Die schwarzen Augen waren mit Kohle umrandet und der Lidstrich weit in die Schläfen gezogen, so daß ihre hohen Wangenknochen, welche von ihrem kem'schen Erbe zeugten, betont wurden.
Zitate:
Der Rabenabt bemerkte fasziniert, mit welchem Elan seine ungestüme Tochter Dinge anging, deren Realität ihr erst vor wenigen Stunden das erste Mal gewahr geworden war, und wie leicht sie sich auf dieses für sie so völlig neue Terrain einließ. "Ja, Rhonda, alles ist möglich. Du, meine Liebe, wirst diesen Schritt für unsere Familie gehen, doch denke daran, du bist niemals allein. Du vor allem nicht, denn du kannst dir neben unser aller Unterstützung ebenfalls der Unterstützung durch die Cronprinzess sicher sein. Gerade in diesen Zeiten, wo alte Bündnisse neu geknüpft werden, mag dies von entscheidender Bedeutung sein."
Boromil Mezkarai, Vater
"Rhonda? Schwesterherz? Wo bist du? In dieser Rumpelkammer, die du dein Zimmer nennst, kann frau dich überhaupt nicht finden...."
Quenadya Mezkarai, Schwester
"Rhonda? Kannst du dich vielleicht einmal von diesem öden Staatsrechtsbuch losreissen? Ich habe eine neue Taverne entdeckt, gleich hier im Süden von Methumis!"
Cronprinceß Ela XV. Setepen