Flora und Fauna

Vom Tropenurwald - aus dem Buch "Das Paradies" von Almo Entwistel

 

"...wo tiefste Wälder, undurchdringlich für Sternenlicht und Sonnenstrahl, ihre Schatten breiten." (Admiral Sanin)


Vorwort

 

Folgende Auszüge stammen aus dem Buch "Das Paradies" des Perainegeweihten Almo Entwistel, der 5 Jahre lang die tropischen Wälder Nord-West-Kemis durchreiste und erforschte, erschienen 15 S.G.. Seine Berichte basieren zur Hälfte auf Gesprächen mit Eingeborenen, sonst wäre die Entstehung seines Buches in so kurzer Zeit nicht möglich gewesen.


Der Mensch Nord- und Mittelaventuriens, gewöhnt an seine Jahreszeiten, an die Knospen des Frühlings, das volle Laub des Sommers und an die Farbenpracht des Herbstes, ist geneigt, seinen Wald mit seinem Wandel im Ablauf des Jahres als das Normale anzusehen, die tropische Vegetation aber als etwas Abnormes, Außergewöhnliches und Bizarres. Das ist verständlich, denn Kultur entstammt den Gebieten mit ihren regelmäßig wechselnden Jahreszeiten.
Meist stellt man sich den Regenwald als ein undurchdringliches Gewirr von Unterholz, Schlingpflanzen und vermodernder Vegetation vor, durch das sich der Mensch erst mühsam seinen Weg Schritt für Schritt hauen muß. Doch das ist der Urwald, der in die Welt der Sagen und Geschichten verbannt werden muß. Eine Ausnahme, die vor allem auf das Wachstum dort zutrifft, wo der Wald schon einmal gerodet wurde. In Wirklichkeit ist der Regenwald ein mächtiger Baldachin von Baumwipfeln, ein dichtes, grünes Gewebe, dessen Schichten die Sonnenstrahlen kaum durchlassen, so daß unten am Boden ein trübes Zwielicht herrscht, alles Pflanzenleben unterdrückt, außer verstreutem Unterholz und jungem Nachwuchs. Im Dämmer zwischen den kräftigen, unverzweigten Stämmen der hohen Bäume liegt der Boden verhältnismäßig frei, bedeckt nur mit einem dünnen Teppich von Blättern, die die Monde hindurch nach und nach herabschweben. Hier und dort fallen durch das Dunkel breite Streifen von Slonnenlicht, die irgendwo einen Weg durch das dichte Laubdach gefunden haben und nun goldene Kringel auf den Urwaldboden zaubern.
Besonders charakteristisch für den Regenwald ist, daß hier das Pflanzenleben vorwiegend in Baumform auftritt. "Veilchen" sind hier größer als Perain-Apfelbäume, "Myrten" gibt es, mit schenkeldicken Stämmen, und "Rosen" von bis zu 50 Schritt Höhe. Der Regenwald erhebt sich auch höher als die meisten Wälder des Nordens, denn er erreicht durchschnittlich 30 bis 35 Schritt Höhe, wobei gelegentlich einzelne Bäume bis zu 60 Schritt hoch werden. Die Blätter sind groß, lederartig und kräftig grün. Überall hängen zwischen den Stämmen der Bäume die Ranken und Stränge der Lianen und anderer Schling- und Kletterpflanzen, manche straff wie Seile, andere wie Girlanden oder sonderbar gewunden.
Als Folge des Überwiegens der Holzgewächse und der Gleichförmigkeit der dunkelgrünen Blätter wirkt der Regenwald düster und eintönig. Jahreszeitlichen Wechsel gibt es hier nicht. Und doch ist er eine üppige Domäne ungewöhnlich vielfältigen Lebens, an Pflanzen- und Tierarten reicher als jede andere Lebensgemeinschaft, die ich jemals sah, ausgenommen vielleicht das Meer. Während der Wald Nord- und Mittelaventuriens höchstens ein paar Dutzend verschiedener Baumarten umschließt, so zählt man auf einer Rechtmeile Regenwald zwei- bis dreihundert. Auch die kleineren Baumarten und Sträucher sind ähnlich vielfältig. Und das gleiche gilt für die Tierwelt, die in den verschiedenen Stockwerken des Regenwaldes "wohnt". Diese Üppigkeit ist die Folge des an keine Jahreszeit gebundenen feuchtwarmen Klimas. Hier im Regenwald gibt es weder Frühling noch Herbst oder Winter - hier herrscht nichts anderes als immerwährender Hochsommer. Typisch für den Regenwald sind auch seine zwei alle Götterläufe wiederkehrenden Regenzeiten, die mit zwei Perioden relativer Trockenheit abwechseln. Doch auch in den sogenannten Trockenzeiten fällt im Gegensatz zum Wald des Nordens ungewöhnlich viel Regen. Während der Regenzeit stürzen immer wieder wilde Wolkenbrüche in donnernden Güssen hernieder. Der Regengott Efferd entläßt seinen Zorn auf das Land zu seinen Füßen. Dann tropft und dampft der Regenwald, auch bei völlig klarem Himmel. Die Luft ist mit Feuchtigkeit geschwängert, die binnen weniger Minuten die Kleidung klamm werden läßt, der Boden trieft vor Nässe. Sogar in der Nacht ist die Hitze am Boden kaum auszuhalten. Unter diesen Voraussetzungen entwickelt sich das Pflanzenleben zu ungeahnter Üppigkeit. Blätter sprießen jäh hervor, wo immer sich ein Sonnenstrahl Praios' durch das dichte Laub gestohlen hat, und auf Lichtungen schießt der Bambus um mehr als einen Spann täglich hoch! Wie ein grünes Tuch überwuchert der Regenwald alles Land, soweit nicht irgendwelche Unregelmäßigkeiten der Oberfläche dem entgegenstellen. Wo sich Gebirge erheben bis in die kühlen Höhen dauernder Wolken und Nebel, schwindet der Regenwald zu einem sonderbaren Sagenwald von Riesenfarnen und knorrig verwachsenen Stämmen mit dichten Moosbärten. Und wo der Mensch den Wald gerodet hat, erhebt sich. in der Folge das niedrige, undurchdringliche Dickicht. Alessandro von Hombalt, der bedeutende Naturforscher, hat in seinen Werken immer wieder gerade den Regenwald als eine der "großen Naturerscheinungen" begeistert geschildert. So schreibt er in seinem Buch "Ansichten der Natur":

 

"Es verdient diese Gegend im strengsten Sinne des Wortes den Namen Urwald, mit dem in neueren Zeiten so viel Mißbrauch getrieben wird. Es sind keineswegs immer die strickförmigen, rankenden und kletternden Schlingpflanzen, die die Undurchdringlichkeit verursachen. Die Lianen bilden oft nur eine sehr kleine Masse des Unterholzes. Das Haupthindernis sind die allen Zwischenraum fallenden, strauchartigen Gewächse. Wenn Reisende, kaum in einer Regenwaldgegend gelandet, schon in der Nähe der Küste glauben, in Urwälder eingedrungen zu sein, so liegt die Täuschung wohl nur in der Sehnsucht eines lange gehegten Wunsches. Nicht jeder Regenwald ist ein Urwald. In den nördlichen Eichen-, Tannen- und Birken-, in den östlichen Lindenwäldern herrscht gewöhnlich nur eine Art; bisweilen ist eine Art von Nadelhölzern mit Laubwald gemengt. Eine solche Einförmigkeit ist dem Regenwald fremd. Eine Unzahl von Familien drängt sich hier zusammen; selbst auf kleinstem Raum gesellt sich kaum gleiches zu gleichem. Mit jedem Tage, bei jedem Wechsel des Aufenthaltes bieten sich dem Betrachter neue Gestaltungen dar, oft Blüten, die er nicht erreichen kann, wennschon Blattform und Verzweigung seine Aufmerksamkeit anziehen".


Am Boden überwältigt die Fülle verschiedenster Erscheinungen. Das Land verläuft sanft zwischen trägen Bächen. Da und dort liegen kleine offene Sandflächen auf Felsen. Inmitten zahlloser Sümpfe erheben sich sonderbar verdrehte, unten knorigge Stämme, und in Schlammtümpeln zittert der Schatten von Palmen über das mit Falllaub bedeckte Wasser. Von Zeit zu Zeit durchschneidet der Lauf eines langsam strömenden Flusses das sonst geschlossene Laubdach. An den Ufern schiebt sich wie ein grüner Wall die Vegetation über das Wasser, überzogen vom Netzwerk ungezählter Schlinggewächse. Man kann nicht von einem einzigen Wald sprechen, sondern von einer ganzen Reihe von Formen des Waldes, unterschieden voneinander durch Besonderheiten der Örtlichkeit oder des Bodens. So gibt es den "trockenen Regenwald" auf sandigen Hügeln, den "Sumpfwald" in überschwemmten Niederungen, den "Gebirgswald" an den Nebelhängen der Berge und den Wald an den Ufern von Flüssen, die sich durch trockene Savannenlandschaften ziehen. Auf Menschen wirkt dieser Urwald ebenso überwältigend majestätisch wie das Hochgebirge oder das Meer. Der erste Nord-Aventurier, der den südaventurischen Regenwald gesehen hat, war der berühmte Admiral Sanin. Angesichts des Urwaldes schrieb er an Bord seines Schiffes:

 

"Das Land ... ist sehr schön ... und voller Bäume von tausenderlei Art und Größe, sodaß sie bis an den Himmel zu reichen scheinen. Ich habe gehört, daß sie nie ihr Laub abwerfen, was mir verständlich erscheint, denn ich sah sie so lieblich und so grün, wie die Bäume in meiner Heimat es im Ingerimm sind; manche trugen Blüten, andere Frucht .... und das im Boron, als ich dort ankam".


Immergrünes Blätterdach

Anders als der Wald des Nordens mit seinen klar zu unterscheidenden Stockwerken - Bodenkräuter, Sträucher, Bäume - zeigt der Urwald hier eine verwirrende Vielfalt.

"Mächtige himmelstürmende Bäume, schwere Lianenvorhänge, die bis ans Wasser des durch den Urwald strömenden Flusses hinabreichen, Orchideen auf den Bäumen, kletternde Philodendren, übergenügsame Blumen, die auf abgestorbenen oder sogar noch lebenden Baumstämmen wurzeln, Baumfarne mit Riesenwedeln, gaukelnde Falter, schwirrende Kolibris. Wie Wolken sind da die Baumkronen übereinandergetürmt, und hoch über der niedrigen Bodenvegetation bilden die Kronen drei oder mehr übereinanderliegende Stockwerke, ansteigend Rang über Rang, Schatten über Schatten, ein Theater des Waldes von unvergleichlicher Pracht". (Admiral Sanin)


Inmitten des Gewirrs von Blättern und Kletterpflanzen kann der Beobachter vom Boden aus die Architektur dieses vielstöckigen "Gebäudes" beim besten Willen nicht übersehen: Spärlicher Jungwuchs bis zu 20 Schritt Höhe, der sich im ständigen Dämmer über dem Boden hochkämpfen muß; größere, kräftigere Bäume von 20 bis 35 Schritt Höhe, deren Kronen dicht bei dicht das Laubdach bilden; und die Riesen, bis zu 60 Schritt hoch und höher, deren Kronen das geschlossene Dach durchbrochen haben und sich nun in Praios' Sonnenschein darüber erheben wie Inseln in einem grünen Meer. Es ist ein unbeschreiblicher Anblick, der sich dem Betrachter in den obersten Wipfeln eines dieser 60 Schritt-Riesen bietet.

 

"Im Walde kommen diese Riesen nicht recht zur Geltung. Wir sehen sie einfach nicht. Sie stehen mitten unter Hunderten anderer Bäume da, sie sind mit Lianen behangen. Ihre Stämme sind unsichtbar! Denn zahllose Überpflanzen und Kletterer siedeln auf ihnen und hüllen sie vollkommen ein". (Sanin)


Jedes der drei Stockwerke des Regenwaldes erhält, genau wie die verschiedenen Tiefen im Meer, einen unterschiedlichen Anteil an Licht und beherbergt seine eigene Lebensgemeinschaft von Pflanzen und Tieren. Sie sind immer da, diese drei Etagen, doch sind sie nicht immer klar voneinander zu trennen, denn der Wald wächst ja dauernd. Halbwüchsige Bäume schieben Balkone und Zwischenetagen ein, und die Kronen von nachwachsenden Riesenbäumen, die eigentlich zum obersten Stockwerk gehören, befinden sich eine Zeitlang auf der gleichen Höhe wie die unteren Lagen. Teils ist das Laubdach dicht geschlossen, teils unterbrochen oder durchscheinend. Merkwürdigerweise zeigt der Regenwald bei seiner Artenfülle in Blattfarbe und -form, Rindenmuster und anderen Kennzeichen eine überraschende Eintönigkeit .

 

Tiere im Schatten

In der grün-goldenen Stille des Mittags stehen unbeweglich die Baumsäulen des Regenwaldes, und weder am blattbedeckten Boden, auf dem sich Sonnenkringel abzeichnen, noch am dichten Laubdach ist irgendeine Spur höheren Lebens zu entdecken. Erst wenn in der Dämmerung die Räuber des Tages sich mit denen der Nacht ablösen, verrät ein vielstimmiger Chor die ganze Vielfalt des Lebens. Die heimlichen, selten zu sehenden Tiere des Bodens - Geschöpfe des Schattens. Die Opossums oder Beutelratten, derer es viele verschiedene Arten gibt. Solche mit sehr dicken Schwänzen, flinke mit sehr wolligem Fell oder auch solche mit Schwimmhäuten an den Zehen der Hinterfüße. Große, ameisen- und termitenfressende Bären, Riesen-Gürteltiere mit enormen Grabfüßen, stattliche, unserem Meerschweinchen verwandte Nager und große, fremdartige Tiere mit langen Rüsselnasen. Aber auch gefährliche Großkatzen treiben hier ihr Unwesen. Der einfarbige Puma und der gefleckte Jaguar sind im Astgewirr ebenso geschickt wie auf dem Boden. Kleinräuber dagegen sind die hübsche Zwergtigerkatze, der Vögel fressende Yaguarundi - eine sehr schlanke, dunkel graubraune Katze mit auffallend langgestrecktem Körper - sowie, aus dem Mardergeschlecht, die Tayra.
Hier im Regenwald gibt es Land- und Wasserschildkröten, Frösche, Kröten, Eidechsen aller Art, hier hausen aber auch die Riesenschlangen, die acht und mehr Schritt messende Anaconda, und, auf dem Felsen, die Boa, hier lauern die tödlich giftigen Schlangen, Buschmeister oder Lanzenschlange genannt, von denen die Eingeborenen ihre Pfeilgifte gewinnen. Und wie die Kriechtiere gedeihen hier die Vögel. Vielfarbig und vielgestaltig erfüllen sie die höheren Stockwerke des Waldes mit vielstimmigem Geschrei, aber einige von ihnen bleiben aber auch ständig am Boden. Solche schwerfälligen Flieger sind z. B. die Hokkos und Tinamus genannten Vögel, die für das Leben in Bodennähe ein unauffällig dunkles Federkleid tragen. Alle anderen Tierklassen aber werden um das Millionenfache übertroffen durch die Myriaden von Insekten und Spinnentieren. Sie sind die wahren Herrscher des Regenwaldes, zahllos wie die Blätter der Bäume und an jedem Fleck anzutreffen, in jeder Spalte, in jedem Winkel - vom Boden, den sie durchwühlen, bis zu den obersten Zweigen der höchsten Bäume.

 

Am Boden des Urwaldes

In der sonnenfernen Welt zu Füßen der großen Bäume hat fast alles Pflanzenleben seinen Anfang und sein Ende. Denn hier im grünen Zwielicht entfalten die winzigen Samen ihre ersten Triebe, und hier vergehen schließlich die Blätter der Baumriesen; tagaus, tagein, unabhängig von Jahreszeiten, schweben sie herab und bleiben liegen, wohin sie gefallen sind. Im Gegensatz zur Überfülle des Laubes hoch oben und zur Großartigkeit des Waldes im Ganzen erscheint allerdings die Schicht des Falllaubs auffallend dünn und der Boden recht arm. Der scheinbare Widerspruch klärt sich, wenn man erlebt, mit welcher Geschwindigkeit der Zerfall vor sich geht. So kommt es, daß dieser reichste aller Wälder aus einem Boden entspringt, der so arm ist, daß er nur selten mehr als eine Jahresernte hergibt.

 

Merkwürdig ist auch die Art der Fortpflanzung, die manche Bäume des Regenwaldes als Anpassung an diesen eigenartigen Lebensraum entwickelt haben. Manche Blüten sitzen am Hauptstamm oder direkt am Holz älterer Äste. Dieses "Blühen auf der Rinde", das schon Admiral Sanin aufgefallen war, ist vermutlich eine Anpassung an eine Umwelt, in der es sich für Pflanzen, deren Blüten vom Wind bestäubt werden, nur schwer leben ließe. In den windstillen Gewölben des Regenwaldes liegt deshalb des Hauptgeschäft der Pollenübertragung von Blüte zu Blüte bei den Insekten. Und dadurch, daß manche Gewächse ihre Blüten tief unten am Stamm tragen, schaffen sie sich die Möglichkeit, daß auch die kriechenden und niedrig fliegenden Insekten, die nie bis in die Region der hohen Kronen gelangen, ihnen als Pollenüberträger dienen.

 

Sonderbares Wurzelwerk

Säulen eines uralten Tempels ähnlich, ruhen die starken Stämme der hohen Bäume oft auf massiven Unterlagen. Die schlanken und hohen Stämme erheben sich aus Wurzeln, die in grotesken Formen über dem Boden liegen. Welchem Zweck diese sonderbaren Wurzelbildungen dienen, vermag ich jedoch nicht zu sagen. Für die kleineren Bäume sind die Stelzwurzeln typisch, die in Höhen bis zu drei Schritt aus dem Stamm hervorgehen, schräg seitwärts nach unten laufen und sich dann im Boden in ein vielfaches Wurzelwerk verzweigen. In Gebieten, die häufig von Überschwemmungen heimgesucht werden, dienen diese Stelzwurzeln ganz offensichtlich dazu, den Stamm über der Hochwasserlinie zu halten; warum die gleichen Stelzwurzeln aber auch in normalen Waldgebieten vorkommen, bleibt rätselhaft.
Weit verbreiteter sind die Brettwurzeln - flache, seitlich zusammengedrückte Wurzeln, die zum Teil über dem Boden auf den Stamm zulaufen. Manchmal nehmen die Brettwurzeln eines einzigen Baumes einen Raum von einer Rechtmeile ein. Viele Theorien gibt es für den Grund des Daseins dieser riesigen Wurzeln. Eine davon ist, daß diese Wurzeln dem Baum Standfestigkeit verleihen und auch gegen den Wind verankern. Aber gerade dort, wo man meinen sollte, sie wären am meisten vonnöten, gibt es sie nicht. Man trifft sie viel häufiger in geschätzten Niederungen als an windigen Standorten. Doch so kräftig und solide diese riesigen Wurzeln auch aussehen, sie können es nicht verhindern, daß täglich hohe Bäume umstürzen, weil Wasser sie unterspült oder ein plötzlicher Sturm ihre Kronen gepackt hat. Die Großen reißen im Fallen die Kleinen mit, und inmitten der angerichteten Verwüstung recken sie die Wurzeln in die Höhe, mit denen sie so groß geworden sind.

 

Akrobaten des Laubdaches

Unzähligen Tieren bieten die Bäume eine Heimstatt, den einen nur für kurze Zeit, den anderen länger und manchen ständig. Kein Lebensraum beherbergt so viele Baumtiere wie der Regenwald. Hier wohnen die besten Akrobaten, die Affen. So behende sie auch sind, nur wenige besitzen einen Greifschwanz. Aber auch andere Tiere haben einen solchen Greifschwanz; es gibt ihn bei so verschiedenen Gestalten, wie es die Beutelratten und sogar kleine insektenfressende Bären sind. Hier oben im Dämmer des Laubdaches herrscht ein Leben wie in einer Theater-Arena. Weit schwingen sich die Artisten durch die Luft, bunte Vögel vollführen ein lärmendes Konzert. Hier führen sie ihr phantastisches Leben hoch über dem Boden auf dem halben Weg zum Himmel über ihnen. Der König unter diesen Artisten des Regenwaldes ist der langgliedrige Spinnenaffe; mit seinem Schwanz an einer Liane hängend wie ein Trapezkünstler, schwingt er sich plötzlich bis zu 15 Schritt weit durch die Luft, mit geschickter Hand einen Ast ergreifend, von dem er eine glänzende Beere pflückt. Die Sakis haben keinen Greifschwanz, weswegen sie keine so weiten Sprünge machen können. Eine Gruppe für sich bilden die niedlichen Krallenäffchen, die in lauten Scharen umherklettern, aber auch zu springen wissen, freilich nicht so geschickt - mit weit ausgebreiteten Armen und Beinen "werfen" sie sich gegen den Baum.

 

"Alle Krallenäffchen", so schreibt Tiervater Prem, "sind Baumtiere im eigentlichen Sinne des Wortes. Sie bewohnen in größter Mannigfaltigkeit die weiten Waldungen ihrer heimatlichen Länder, und zwar keineswegs die hochstämmigen, feuchten Urwaldungen der Küste oder den Niederungen allein, sondern auch die dürftiger bestandenen, buschartigen Wälder des Inneren. In ihrem Auftreten und Wesen erinnern sie mindestens ebensosehr an die Fehen wie an die Affen. Sie sitzen gewöhnlich mit Händen oder Füßen auf oder liegen selbst platt auf dem Bauche, wobei der lange, dickbehaarte Schweif gerade herabhängt. Auch mit ihrer starken Neugier ähneln sie dem Feh sehr: Sie bekunden dieselbe Unruhe und Rastlosigkeit und ebenso dieselbe Scheu wie dieses".


Auch Jäger und Räuber gibt es hier oben. Oben sind sie allerdings recht langsam und setzen weder ihre Würde noch ihre Gesundheit aufs Spiel. Zu ihnen gehört der Kinkaju, der seinen Greifschwanz vor allem dann benutzt, wenn irgendeine Beute in Reichweite ist, und die Coatis. Sie steigen häufig zum Fischen oder zu anderen Raubzügen auf den Boden hinab. In den Baumkronen bewegen sich gemessen auch der Tamandua und der Zwergameisenfresser. Der beste Kletterer unter den Katzen ist der Ozelot, der wegen seiner hübschen Zeichnung auch Pardelkatze heißt, obwohl auch Jaguar, Zwergtigerkatze und Yaguarundi gelegentlich hier oben erscheinen. Reine Vegetarier der Kronenregion sind der Co'e'ndu, der winzige Sciu, und die zwei- und dreizehigen Faultiere, die mit der Langsamkeit ihrer Bewegungen und mit ihrer Stumpfsinnigkeit ihrem Namen alle Ehre machen. An ihren großen, sichelartigen Krallen hängen sie in den Ästen, und hier verbringen sie, nur von Blättern lebend, praktisch ihr ganzes Leben. Völlig wehrlos, unfähig zum Kampf wie zur Flucht bleibt ihnen nur eines: die Tarnung. Und wenn so ein Faultier inmitten des dichten Blättergewirrs schläft, den Kopf zwischen die Vorderbeine gelegt, ist es tatsächlich unsichtbar.
Auch die Kriechtiere haben charakteristische Baumbewohner herausgebildet, reizvolle und kecke Tiere. Die kleine Hokobi-Eidechse ist sogar imstande, bei ihren Sprüngen von unten nach oben auch an der Unterseite eines Astes zu landen. Der Leguan, ein Meister im Kunstspringen, kriegt es fertig, von einem Ast in 20 Schritt Höhe aus in einen flachen Tümpel zu springen. Die grüne Baumboa klimmt bei der Jagd auch über die äußersten Enden dünner Zweige, während die schwerere Regenbogenboa sich mit ihren bis zu 1,80 Schritt Länge um einen Baum ringelt und auf ihre Opfer lauert, auf Beutelratten und andere Nagetiere. Mit knalligen Farben und lautem Lärm tragen das Ihrige zu dem lebhaften Treiben im Blätterdach bei die Schmuckvögel und ihre Verwandten wie der Purpurvogel, dann vor allem aber die Papageien und Aras, die Tukane mit ihren mächtigen Schnäbeln, Fliegenschnäpper und allerlei andere. Hier in den Baumkronen führen sie ihr eigentliches Leben; nur selten suchen sie den Waldboden und die höheren Regionen, wo die Raubvögel jagen, auf.

 

Hängende Gärten

Oben im Laubdach, hoch über dem Dämmer der zwielichtigen Gewölbe dort unten, zeigt der Regenwald sein wahres Gesicht. Von warmem Licht überflutet, ist das grüne Blättermeer mit seinen unzähligen Kuppeln das ganze Jahr hindurch mit Blumen geschmückt, deren Duft die leise bewegte Luft erfüllt. Doch nicht alle Blüten dieses Gartens ohne Ende entstammen den Kronen der Bäume selbst. Viele gehören zu den Pflanzen, deren Lichthunger sie auf eigenartige Weise bis in die höchsten Höhen hat gelangen lassen.
Dazu gehören vor allem die Kletterpflanzen, die Lianen. Äußerlich ähneln sie etwa unserem Efeu oder der Clematis an den Hauswänden; hier im Regenwald, im Lebenskampf um Licht und Raum, entwickeln diese Kletter- und Schlingpflanzen jedoch holzige Stämme von einem halben Schritt und mehr Dicke und werden 15 Schritt hoch und höher. Ihre phantastischen Formen - gigantische Schlaufen, Girlanden und Spiralen - sind überall zu finden. Oben schlingen sie sich von Ast zu Ast, von Krone zu Krone, zwängen sich in jeden unbelaubten Raum und helfen so mit, das Laubdach zu schließen - so dicht ineinander und mit den Bäumen verflochten, daß oft genug ein unten gefällter Baum einfach nicht umfällt. Aus dem Schatten klimmen sie herauf bis hierher, in die Sonne, und entfalten ihre oft wundervollen Blüten.
Noch sonderbarer als die Lianen sind die sogenannten "Überpflanzen", zu denen Orchideen, Kakteen, Bromeliazeen, Flechten und Moose gehören. Auch sie blühen hier oben, aber ihre Wurzeln haben sie nicht in den Boden unten geschlagen wie die Bäume und die Kletterpflanzen; in Risse und Spalten von Bäumen und Lianen vielmehr senken sie ihre Wurzeln. Eine ganze Anzahl dieser Überpflanzen besitzt außerdem ein feines Maschenwerk von Luftwurzeln, mit dem sie Wasser und allerlei verrottetes Material festhalten und sich so mit der Zeit beinahe etwas wie einen eigenen Boden schaffen. Da die Wasserversorgung ein ernstes Problem zu sein scheint, müssen sie häufig zu den Mitteln der Wüstenpflanzen greifen, zu schneller Wasseraufnahme und sparsamer Bewirtschaftung. Einige haben jedoch regelrechte Wasserspeicher, Sproßknollen oder Blattbecher; in solchen Wasserspeichern wimmelt es oft von Moskitobrut, jungen Fröschen und allerlei anderem Kleingetier. Wieder andere entsenden Luftwurzeln aus der Höhe hinab bis zum Boden, und es kann vorkommen, daß sie dann selbst baumgroß werden und für den Baum, der sie gleichsam großgezogen hat, eine schwere Bürde bedeuten. Und einige schließlich sind regelrechte Würger, die mit ihren Wurzeln den Baum ersticken. Von diesen Baummördern ist die Würgfeige am bekanntesten. Aus ihrem Samen, den ein Vogel vielleicht einmal an den Stamm einer Palme geklebt hat, wachsen Luftwurzeln zum Boden hinab, die immer stärker werden, den Baum auf dem sie sitzen umschlingen und ihn schließlich buchstäblich erdrosseln.

 

Über den Wipfeln

Überall in der Natur ziehen die Grenzgebiete eines Lebensraumes die Abenteurer an, die Vagabunden, die Plünderer. So ist es auch im Regenwald, wo sich nur die kräftigsten, kühnsten und geschicktesten Kletterer bis in die schwindelerregenden Regionen der höchsten Gipfel zwischen Wald und Himmel vorwagen. Hier sind sie aber nicht nur Wind und Wetter ausgesetzt, sondern auch den Räubern des Tropenhimmels, den Tag- und Nachtraubvögeln, Adlern, Geiern, Falken und Eulen. Und das ist auch der Grund dafür, daß die Bewohner des obersten Waldstockwerks tagsüber sicherheitshalber lieber im Bereich des Geästs bleiben, nur nachts auf die äußersten Spitzen klettern und dort nach Früchten und Nüssen suchen.
Die bemerkenswertesten dieser Kletterkünstler sind die Klammeraffen, die roten Brüllaffen und die Springäffchen. Obwohl die Springäffchen keinen Greifschwanz haben wie Klammer- und Brüllaffe, bewegen sie sich doch behende und sicher noch dort, wo selbst ein Feh sich nicht hinwagen würde. Aus ihren Höhen steigen diese Affen nur selten hinab, zum Schlaf nur oder wenn sie Schutz vor Gewittern suchen. Die Klammeraffen sind weniger wetterempfindlich und überhaupt sehr zähe Wesen. Sie sind so kräftig im Bau, so wenig wählerisch hinsichtlich der Nahrung, so fruchtbar in ihrer Vermehrung, daß sie alle anderen Affengeschlechter weit hinter sich gelassen haben. Die auffallendsten Affen sind aber die Brüllaffen; zu sehen sind sie nur recht selten, dafür aber um so mehr zu hören. Denn dieser Affe mit seiner grotesken Menschenfratze und seinem kräftigen Backenbart hat eine wahrhaft ohrenzerreißende Stimme. Die vielleicht beste Schilderung dieses Brüllkonzerts hat Admiral Sanin gegeben:

 

"Auf einmal ertönte nahebei ein Schrei, der schließlich zu einem so lauten, durchdringenden und kaum noch zu dieser Welt gehörig erscheinenden Gebrüll wurde, daß mir das Blut in den Adern erstarren wollte... Nur eine schwache Vorstellung von der ungeheuren Stärke dieses vielstimmigen Gebrülls kann man vermitteln, wenn man sagt, daß diese Affen mit ihren Stimmen auch den gewaltigsten Löwen überschallen würden, der je seine Stimme hat erschallen lassen".


Wie viele "Brüller" an einem solchen ohrenzerreißenden Konzert teilnehmen, ist noch unsicher, denn es findet jenseits des Blütenvorhangs statt, und in der Gefangenschaft lassen die Brüllaffen scheinbar nicht ihre volle Stimmer erklingen, sondern kümmern dahin und gehen bald ein. Im Regenwald aber kann man ihr Schreien meilenweit hören, ein Chor wilder Vielstimmigkeit obwohl manche sagen, daß nur ein oder zwei Tiere daran beteiligt sind. Warum sie brüllen, ist klar: Der Stimmaufwand des Brüllenden bedeutet ein drohendes Signal an seine Artgenossen, daß der Schreier hier sein Territorium habe, das ihm allein gehöre. Die Antwort des anderen ist ebenfalls Gebrüll, und so brüllt man sich mit gegenseitigem Herausforderungen und Drohungen vom Spätnachmittag durch die ganze Nacht an, bis gegen Praios' Aufgang eine einzige Kakophonie ohnegleichen daraus wird. Doch dann klingt der Lärm ab, und neue Stimmen erheben sich. Jetzt ertönt das Lärmen der Papageien und Aras, der Glocken- und Schirmvögel, der Tukane, das Rufen der Tauben.
Für die Affen beginnt mit dem Morgen die Zeit der Gefahr, und sie klettern deshalb hinab zu ihren Tummelplätzen und Schlafstellen im Astgewirr und überlassen die höchsten Regionen des Waldes ihren größten Feinden, den Raubvögeln. Während des langen, heißen Tages fliegen Segler und andere leichtbeschwingte Gefiederte hoch über dem grünen Blättermeer, Tukane und Papageien prunken mit ihrem Gefieder, und die Kolibris schwirren mit Flügeln, so schnell, daß man sie nicht sieht, von Blüte zu Blüte, aus denen ihre Zunge Honig und Insekten holt. Dabei übertragen die Kolibris auch den Pollen, so, wie es bei uns die Bienen und andere Insekten tun. Die kleinsten Arten mit dem hübschen Namen Zwergelfen, sind kaum größer als eine Hummel; sie sind damit die kleinsten Vögel überhaupt.

 

Insekten am Werk

Von den höchsten Höhen des Waldes bis hinab in die geheimsten unterirdischen Schlupfwinkel des Bodens wimmelt es von Insekten ohne Zahl. Ihre Arten gehen in die Hunderttausende, und vielgestaltig ist ihre Maskierung, denn hier erreicht die Tarnung ihren Höhepunkt: Blätter entpuppen sich als Heuschrecken, Rindenstücke fangen an zu krabbeln, Blüten fliegen plötzlich davon, harmlose Schmetterlinge tragen das Kleid stechender Wespen, und Raupen erinnern an Spinnen.
Im Lebenskreislauf des Waldes spielen die Insekten zwei wichtige Rollen: als Erhalter und Zerstörer. Die meisten Pflanzen verdanken ihnen ihre Bestäubung, aber umgekehrt werden zahllose Bäume von Termiten und Käferlarven, Unmengen von Blättern von Heuschrecken und Blattschneiderameisen vernichtet. Diese Blattschneiderameisen sind sonderbare Pilzzüchter: In ganzen Zügen schleppen sie winzige Blattstücke in ihren Bau, zerkauen sie hier, und auf dem so entstehenden schwammartigen Gebilde gedeiht dann ein Pilz, von dessen Auswüchsen die Ameisen leben. Es ist nicht einfach, einen solchen unterirdisch angelegten Bau zu finden, ungleich schwieriger aber ist es, einen solchen Bau auszugraben um die Ameisen zu beobachten, will man nicht von Tausenden gebissen werden. Die eindrucksvollsten Gestalten der Insektenwelt sind die Wanderameisen, deren Heerzüge beim Marsch über den Waldboden alles Leben vernichten, das ihnen nicht entfliehen kann.

 

Stirb und Werde

Stunden noch tropft es von allen Bäumen, wenn ein Gewitterregen über den Urwald niedergegangen ist. Der Boden mit seinem Falllaub, den abgebrochenen Ästen, den verwesenden Stämmen trieft vor Nässe. Jetzt ist die Stunde der Pilze gekommen, die das große Werk des Abbaues verrichten, der Zersetzung alles abgestorbenen Lebens. Überall erheben sich nun die kleinen, bunten "Kobolde des Waldes". Doch nicht das, was wir Pilz nennen, ist der eigentliche Pilz; unsichtbar spinnt er seine bleichen Fäden als dichtes Gewirr durch den Boden und über alles abgestorbene, und was sich bunt geschirmt über dem Boden erhebt, entspricht etwa dem, was bei den höheren Pflanzen die Frucht ist. Jedoch sind die Pilze nicht die einzigen Träger des Abbaues. Vielerlei Insekten und Würmer wirken dabei mit, am eindrucksvollsten aber wohl die zahllosen Termiten, oft fälschlich "weiße Ameisen" genannt, die lichtscheu jeden gefallenen Baum, jeden stehengebliebenen Stumpf von innen her zerfressen, bis nur noch eine dünne äußere Rinde übrigbleibt, die dann schließlich ebenfalls sehr schnell zerfällt. Auch das härteste Holz wird in wenigen Jahren von den kräftigen Kiefern der Termiten tausendfach zerlöchert wie ein Schwamm. So kehrt mit der Zeit alles Lebendige - der größte Baum und der kleinste Vogel, Blatt und Ast, Blüte und Frucht, schillernder Schmetterlingsflügel und abgestreifte Schlangenhaut - mit dem Tod zurück in den Schoß Sumus. Doch wie immer im Hohelied Peraines folgt auf Zerfall und Tod neues Leben. Jede Wunde, die dem Wald geschlagen wird, durch den Sturz eines Baumriesen, durch Windbruch, durch Feuer oder durch den rodenden Menschen, schließt der Wald wieder. Aber dieser Prozeß der Heilung ist langwierig und kompliziert. Denn dort, wo jetzt die Wunde offenliegt, flutet das Licht Praios' hinab bis auf den Boden, und nun entsteht hier auf der Lichtung ein geradezu explosives Wachstum schnellwüchsiger Neuankömmlinge, einjähriger Pflanzen, Kräuter, Gräser und Klettergewächse. Ihnen folgen dann Sträucher, Schlingpflanzen, kleine Bäume, die alle in Praios' Antlitz vortrefflich gedeihen. Schon in der unglaublich kurzen Zeit von wenigen Monden ist der Boden mit einem dichten Gewirr von Unterwuchs überzogen. Dann erscheinen größere Bäume und erheben sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit - oft um sieben Schritt in nur 2 Götterläufen! Doch täuscht dieses schnelle Wachstum, denn die Bäume solcher "Zweitbesiedelung" bleiben gewöhnlich niedriger und auch weniger artenreich als die Bäume, die vorher hier gestanden haben.
In der Lichtung ist der Nachwuchs der ursprünglichen Bäume des Regenwaldes durch den starken Lichteinfall gehemmt, denn ihre Keimlinge verlangen ja Schatten. In der Flut der Sonnenstrahlen gehen sie entweder gar nicht erst auf, oder sie werden schnell von den besser vorankommenden Eindringlingen unterdrückt. Dennoch sorgt das Lebensgesetz des Regenwaldes langsam, aber unaufhaltsam dafür, daß die ursprüngliche Form des Waldes wiederhergestellt wird. Die so lichthungrigen "Zugewanderten" aber arbeiten bereits an ihrem eigenen Untergang. Denn damit, daß sie jetzt im Kampf ums Licht ein immer dichter werdendes Laubdach bilden, lassen sie auch den Boden in immer tieferen Schatten fallen, sodaß ihr Nachwuchs, lichthungrig wie die Mutterpflanzen, nun im Schatten der eigenen Vorfahren umkommt und damit den Platz dem schattenliebenden Jungwuchs der Urbewohner überlassen muß, der sich langsam aber sicher seinen Lebensraum zurückerobert. Wie lange dieser Prozeß dauert, hängt von der Größe der Lichtung ab. Bricht ein kleinerer Baum nieder, der in seinem Fall nicht andere mitreißt, so ist die Lücke schon innerhalb von zehn Tagen geschlossen. Entsteht aber beim Sturz eines Baumriesen eine breite Schneise, so braucht der Wald ein Jahrhundert oder länger, um diese Wunde vernarben zu lassen. Und ein Waldbrand mit einer ihm folgenden Trockenheit bringt vielleicht für immer eine Veränderung im Bild des Regenwaldes, die selbst seine Lebenskraft nicht wiedergutmachen kann. Bis jetzt hat der Mensch den Regenwald nur wenig genutzt, denn dort wohnte lediglich eine Urbevölkerung, die ein Jäger- und Sammlerdasein führte und kaum Landwirtschaft trieb. Heute aber ist der Regenwald durch den Eingriff des weißen Menschen bereits vielerorts verdrängt. Weite Waldflächen haben den Plantagen weichen müssen, und dort, wo man die Plantagen aufgelassen hat, hat sich der Zweitwuchs mit seinem dichten Busch breit gemacht. Doch nicht minder ist der Urwald durch die Ausbreitung der Landwirtschaft bei den Eingeborenen zurückgedrängt worden; überall, nicht mehr nur entlang der Flüsse, sondern auch tief im Herzen des Waldes schlagen die Eingeborenen weite Flächen, brennen die gefällten Bäume nieder und legen ihre Pflanzungen von Maniok, Süßkartoffeln, Bananen, Mais, Hirse und Bergreis an. Damit aber wird die Bodenstruktur zutiefst gewandelt: Die starke Sonneneinstrahlung zerstört die Humusschicht; die wilden Regengüsse schwemmen den Boden fort, und oft schon nach einer oder zwei Ernten muß der verarmte Boden aufgegeben werden, und das Chaos des Busches erobert sich die geschändete Erde. Der Regenwald ist ein unerschöpflicher Schatz von Unterschiedlichkeiten, ein Zentrum ständig arbeitender Lebensentwicklung, in dem das Pflanzenleben vermutlich schon seit Urtagen unablässig neue Formen hat entstehen lassen. Aus diesem Grunde muß der Regenwald vor einer unkontrollierten Ausbeutung durch den Menschen geschützt werden. Denn nicht Peraines Natur ist die Trägerin von Verwüstung und Zerstörung, sondern zuletzt immer der Mensch.

 

Typische Vertreter der kem'schen Tierwelt

Vom Ônt'hpony

 

Seit wann es das Ônt’hpony in Yleha gibt, ist nicht mehr bekannt, sicher ist jedoch, daß schon vor 300 Jahren ein Buch über die Zucht und Ausbildung dieser besonderen Maultiere geschrieben wurde. Seit dieser Zeit hat sich wenig verändert: Noch immer werden nur die größten, stärksten und genügsamsten Ônt’heselhengst Ylehas, die ebenfalls in Yleha gezüchtet werden mit Pferde- und Ponystuten aus ganz Aventurien gekreuzt. Es wurden Versuche mit feingliedrigen Tulamiden und starken Pferden aus dem Norden gewagt, doch die besten Ergebnisse erhällt man nach wie vor nur mit maraskanischen Ponystuten.
Eingesetzt werden die daraus entstehenden Maulponys vor allem als vielseitige Lasttiere, die sich sicher auf morastigen Dschungelboden und felsigem Gebirgspfaden bewegen können. Sie kommen mit den Gegebenheiten in Kemi besser als alle anderen Pferdeartigen aus.
Aber auch elegante und ausdauernde Reittiere und Kutschponys sind unter den Ônt’hs zu finden.
Joost, das Reitônt’h von Annabel Chanûr’h ist ein besonders schönes Beispiel eines klassischen Ônt’hponys, dessen Vater ein großer Ônt’hesel und Mutter eine hübsche Maraskanerponystute war. Mit knapp 8 Spann Stockmaß ist er ein Reittier, das selbst größeren Reitern eine bequeme und sichere Reise auf und abseits der Pfade Ylehas erlaubt.

 

Die Zucht und Ausbildung

Die Zucht der Ônths findet hauptsächlich in der Plantage Gran Ylehia, nahe der Stadt Yleha statt. Hier stehen die offiziellen Deckhengste, hier befindet sich das kleine Gestüt und hier werden einmal im Jahr die Fohlen der Plantage sowie der anderen Züchter, vor allem Bauern, vorgeführt und streng bewertet. Zu diesem Anlaß findet eine große Auktion und einige Wettkämpfe statt und die gesammte Plantage verwandelt sich in ein einziges Volksfest.
Die Fohlen werden hier nach Aussehen und vor allem nach ihren Anlagen bewertet und die besten werden auf der Plantage ausgebildet. Nur ein Ônt’h, daß hier geschult wurde, darf das offizielle Anzeichen, ein in die Mähne eingeknüpftes, schwarzes Band tragen.
Je nach Anlagen des Fohlens dauert die Ausbildung unterschiedlich lange, reine Lasten- Kutsch- und Saumponys sind schon nach einem Jahr einsatzbereit, wobei darauf geachtet wird, daß sie die nächsten zwei Jahre erst als Begleitponys mit geringer Last arbeiten.
Reitônt’hs sind erst etwa nach 4 Jahren ausgebildet, sind dafür äußerst vielseitig einsetztbar und bewegen sich sehr trittsicher durch dichten Dschungel oder felsigen Boden.
Die besten und gehorsamsten von ihnen werden noch ein Jahr militärisch weitergebildet und intensiv mit den Gefahren des Dschungels bekannt gemacht. Diese kleinen Streitrößer beherrschen dann etwa 20 verschiedene Befehle, sie können unteranderem blitzschnell mit Reiter "niederknien", um sich im dichten Strauchwerk der Urwäler zu verbergen, sie schwimmen und können im Wasser und übrigens auch an Land bequem und sicher aus einiger Entfernung gelenkt werden, sie können "wittern" und zeigen verborgene Feinde und Tiere an, sie weichen Hieben aus, sie Treten gezielt auf Knie und Unterleib von Angreifern und sind kaum scheu zu machen.
Nur in Paraden machen sich die Ônt’hs schlecht, da sie bekannt dafür sind, sich die Gangart und den Weg selber auszusuchen, wenn der Reiter schon das Tempo und die Richtung bestimmen will.

 

Ônt’hesel

Der "Vater" eines Ônthponys ist ein besonders großer Esel, der vor allem in der Landwirtschaft oder als Lasttier eingesetzt wird. Trittsicher, zäh und genügsam sind alle dieser Esel, doch sind sie für auch für ihre Sturheit und ihre sprichwörtliche Häßlichkeit bekannt.

 

Reitônt’h

Vielseitig einsetztbar und trittsicher sind die Reitônt’hs, die zwar nicht die Größe und die Eleganz ihrer Vettern, der Pferde erreichen, aber das ideale Reittier für die Gegebenheiten der südlichen wälder sind.

 

Schlachtônt’h

Zum Schlachtroß ausgebildete Ônt’hs haben in Antien’Marét eine große Bedeutung. Sie werden weniger zu militärischen Zwecken eingesetzt, dienen jedoch als besonders zuverlässige und dschungeltaugliche Reit- Boten- und Lasttiere.

 

Lastônt’h

Ob auf unwegsamen Dschungelpfaden oder schmalen Gebirgssäumen, das Lastônt’h trägt Alles sicher und zuverlässig zum gewünschten Ziel. Dabei bedarf es selbst für eine größere Karavane nur einen Treiber, da die Tiere lieber selbständig ihren Weg gehen, als geführt zu werden und schon nach wenigen Malen eine Route selbständig abwandern können.

 

Kutschônt’h

Klapprige, ylehische Karren mit zwei großen Rädern werden von diesen Zugtieren alleine oder zu zweit, schneller als ein Büffel es könnte, gezogen. Aber auch bei den Holzarbeiten leisten diese Maultiere im Gespann enormes.

 
K'han, der Stolze

Sie waren allein, nur er und sie. Quenadya blickte ihm fest in die Augen. Dunkel und unergründlich funkelten seine zurück. 400 Stein geballte Muskelkraft und stolze 8 Spann messender Eigensinn warteten nur darauf, sie in den Schlamm zu werfen.
Er war wild und schimmerte wie die Federn eines Raben. Sein Name war K'han .... der Stolze!

 

Das seidige Fell des schwarzen Hengstes schimmerte blutig im letzten Lich der untergehenden Abendsonne. Der lange Schweif peitschte angriffslustig umher und der fein geschnittene Kopf mit den weit geblähten Nüstern ragte auf dem muskulösen Hals stolz in die Luft. Die klugen, funkelnden Augen, das erregte Spiel der Ohren und die zottelige Mähne gaben dem Ônt'hpony ein verwegenes, hinterhältiges Aussehen - im letzten Schein der Sonne stand Quenadya einem dämonischem Geschöpf gegenüber.

 

Auge um Auge, du oder ich! Einer von uns beiden wird dem anderen willig gehorchen ... aber ich werde nicht nachgeben!

 

Sie spannte ihre Muskeln an. Das Tier zuckte mit dem Ohr. Es beobachtete sie genau... es spähte nach verräterischen Bewegungen seiner Gegnerin wie ein stolzer Krieger, nicht wie ein Maultier. Langsam und selbstsicher griff sie nach dem Zügel und redete dabei ruhig auf den Hengst ein. K'han quietschte warnend und tänzelte wütend.... stand dann aber still. Mit heißem Feuer in den Augen starrte er seine Gegnerin an.

 

Unser Kampf muß nicht mit Gewalt ausgefochten werden....vertrau mir! Folge mir!

 

Quenadya strich dem Ônt'hpony beruhigend über den Hals, redete ruhig auf ihn ein und zog behutsam den Steigbügel zu sich heran. Dabei beobachte sie prüfend die Reaktion des Hengstes.
K'han blickte desinteressiert weg, als würde Quenadya nicht existieren.
Schnell schwang sie sich in den bequemen, ylehischen Kriegssattel und setzte sich behutsam. Da schnellte auch schon das Maul des Hengstes heran. Große Zähne schnappten zusammen - und trafen nur die Luft. Quenadya hatte ihr linkes Bein schon längst in Sicherheit gebracht.
Das Ônth schnaubte enttäuscht und steckte mißmutig einen Hieb auf die Nase ein. Dann stand er still.

 

Sie hob die Zügel auf und trieb das Ônt'hpony an.
Er rüherte sich nicht.
Sie schnalzte und trieb energischer.
Er zuckte nicht einmal mit dem Ohr.
Sie benutze ihre Sporen.
Er war wie festgewachsen.
Sie rief laut.
Er versteinerte.
Sie seufzte.
Er atmete.

 

Ich trau Dir nicht... Du bist die Ruhe vor dem Sturm!

 

K'han sog angespannt die Luft ein... plötzlich buckelte er los. Er rannte los, sprang, keilte aus ... Quenadya hielt sich tapfer im Sattel.
Es war ein kurzer, aber harter Kampf, ein Kampf des Willens.
Quenadya siegte, der Hengst gab auf. Er hatte seine Meisterin gefunden.
Wie ein treuer Hund folgte er den weiteren Lektionen und zeigte stolz, was er wärend der Ausbildung zum Schlachtroß gelernt hatte.
Er war wild und schimmerte dunkel..... sein Name war K'han: der Stolze!

 

Die Schlupfspinne

Bei der gemeinen Schlupfspinne handelt sich um ein Tier aus der Gattung der Arachnen. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung sind die Schlupfspinnen für den Menschen oder verwandte Wesen nicht gefährlich. Diese Spinnenart lebt in einer Kolonie, ähnlich der der Honigbienen, wobei es keine genaue Trennung in Arbeiter und Wächter gibt. Als Nahrungsquelle bevorzugen diese Spinnentiere Pflanzensäfte. Es wurden aber schon in einem Schwarm jagende Tiere gesichtet. Mögliche Gifte, die sie aus ihrer Nahrung entnehmen, werden in speziellen Giftsäcken im Hinterleib gelagert. Die Kolonien halten sich zumeist in Gebieten mit äußerst giftigen Pflanzen auf. Daher kam es auch in der Vergangenheit zu der Mähr, daß diese Spinnen gezielt auf Menschen Jagd machen würden. Diese Personen gingen zumeist weit ab von menschlichen Siedlungen auf Kräutersuche. Dabei scheint es immer wieder zu Kontakt mit den gut getarnten Nestkokons der Schlupfspinnen gekommen zu sein. Die Tiere reagieren dann extrem aggresiv und versuchen die Eindringlinge zu beißen. Mit dem Biß wird nun dann das gespeicherte Gift injiziert. Da die Futterpflanzen oft auch für den Menschen giftig sind, endeten die Begegnungen für die Menschen all zu häufig tödlich.

 

Aussehen der Schlupfspinne:

Die Tiere sind zwischen einem und sechs Finger groß, wobei die Königinnen zum Teil bis zu 12 Finger erreichen. Sie Färbung des Panzers variiert vom dunklen pink bis zu matten Basalttönen. Der Hinterleib hat aber bei jeder Familie drei gelbe Streifen. Die Beine sind dünn behaart und vergleichsweise kurz. Die großen Mandibeln, oder auch Mundzangen genannt, erreichen ein drittel der Gesamtgröße des Tiers.

 

Gefährlichkeit:

Das Tier greift nur Lebewesen an die sich zu nahe an das Nest begeben. Das Nest ist zumeist kaum zu erspähen, da die Spinnen wahre Meister der Tarnung sind. Einziger Anzeiger für eine solche Kolonie sind feine Bahnen aus Spinnenseide, die Büsche und Bäume verlaufen. Da die Tiere keine eigenes Gift besitzen, sollte man nach dem sich mit den giftigen Pflanzen der Umgebung auskennen. Eine Kolonie umfaßt 11-46 Tiere unterschiedlicher Entwicklungsstufen und Größe. Bei einem Angriff verteidigen je nach Abstand zum Nest zwischen einem und zwei Dritteln die Kolonie.

 

Vorkommen:

Südaventurien, hier vor allem in der Bucht von Hôt-Alem, dort etwas häufiger sonst äußerst selten.

Verfasser: Sah Valatis Paratras Ni Dreiwegen aus den Aufzeichnungen zur Sákemschen Wildnis


Vom Umba-Dôl

Heute möchte der weitgereiste Magister Erlwulf Norsold dem geneigtem Leser ein wenig die Tierwelt des Kemi-Reiches näher bringen. Zu diesem Zwecke stellt er hier nun einen Bericht über den Zwergerlfant auch Umba-Dôl, genannt zur Verfügung.

 

Der Zwergerlfant, den ich vor drei Götterläufen zufällig im kem'schen Dschungel antraf, ist wohl eine Unterart des durchaus schon bekannten Brabakischen Waldelefanten. Bei meinen Reisen durch den Regenwald konnte ich dieses seltene Tier nur im Gebiet der Táneset Terkum antreffen. Und dort scheint es wiederum nur in gewissen Gebieten zu leben, die die Provinzen Rekáchet, Rekmehi, und vielleicht auch Wachtelfels in Frage kommen läßt. In den benachbarten kem'schen und brabaker Landen ist der Zwergerlfant, von den Waldmenschen auch Umba-Dôl genannt, wegen seines lauten Geräusches, das er mit dem Rüssel erzeugen kann, praktisch unbekannt. Ein größerer Tierbestand, um die zwanzig dieser Tiere, lebt am Taki-See, einem größeren Gewässer in Rekmehi. Die dort lebenden Waldmenschen halten sich diese durchaus nützlichen Wesen als Reit- und Lasttiere. Mir persönlich scheint, daß auch nur die Waldmenschen dank ihrer Naturbegabung mit dem Zwergerlfant ohne größere Probleme auskommen können. Als Reisender mit einem sogenannten Mohaut, was Führer bedeutet, und seinem Umba-Dôl durch den Dschungel zu reiten, ist ein unvergleichliches Erlebnis.

 

Hier an dieser stelle möchte ich nun eine kurze Beschreibung dieses Tieres zum Besten geben:
Der Zwergerlfant, dieses recht unbekannte Tier, ist etwas kleiner als der brabaker Waldelefant, und erreicht nur eine Schulterhöhe von gut zwei Schritt. Seine Haut ist recht widerstandsfähig, von grauer bis grauweißer Farbe. Es wurde mir aber von den Eingeborenen berichtet, daß es vereinzelt auch ganz weiße Umba-Dôls geben soll, ein solches gar seltenes Tier konnte ich selbst, Hesinde sei es geklagt, nicht beobachten. Die zwei Stoßzähne, die seinen Kopf schmücken, sind um die fünf Spann lang, leicht gebogen, und in einem hellen Farbton gehalten. Das Tier bevorzugt als Nahrung nur Früchte und Pflanzen des Dschungels, der diese meistens im Überfluß anbietet. Das Umba-Dôl ist als recht friedlich bekannt, kann aber mittels der Stoßzähne und auch seiner Gewandheit fast jedem Raubtier und menschlichem Jäger entkommen.

 

Soweit also mein Bericht zu diesem Dschungeltier.

 

Magister Erlwulf Norsold, Djáset.