Shepses'nehbet Îri'chem'ká Tem'kat
Medját'ahes des Laguana-Ordens
Der alte Mann schritt energisch durch die uralten heiligen und höchst ehrwürdigen Hallen zu Necharka're'ta. Der Gang wurde nur durch die simmernde Öllampfe erhellt, die er trug. Unbeirrt verfolgte er seinen Weg, strebte dem nur ihm bekanntem Ziel zu. Er war allein, allein in diesen weiten Gängen des Heiligsten Ortes des Raben auf Deren - doch Îri'chem'kâ fühlte sich nicht allein. ER war bei ihm und nun da ER in SEINER Weisheit seinen Verwandten Tiamar auf den Grafenthron zu Terkum gesetzt hatte, wusste der alte Mann, dass es mit der stolzen Sippe der Tem'kat, der Tem'kat'na'fe'phi und der Tem'kat'tur'anach aufwärts gehen würde. Es sei!
Schon von Geburt an gab es für Sat'andju und Hen'neheh Tem'kat keinen Zweifel, dass ihr erstgeborener Sohn Îri'chem'kâ auch dem Allmächtigen Raben dienen würde. Er würde in die Fussstapfen seiner Eltern treten und so war es dann auch.
Doch das Walten der unsäglichen Feinde, der brabaker Kriechlinge unter Alrigio Mezkarai hatte seine Familie verdammt, gemeinsam mit den traditionsreichen Sippen der Chesaî'ret und Sá'kurat ( oder deren Reste ) und den Pâestumai in den Untergrund zu ziehen. Dort wurde Îri'chem'kâ dann geboren. Dort lernte er, dort widerstand er den Gefahren und Versuchungen des Weges der fünf Tage, dort erfuhr er die niedere Weihe zum Ordensbruder und die höhere zum Priester, zum geweihten Diener des Heiligen Raben! Dort erfuhr er den Hass auf die Schlächter aus Ordoreum! Und dort erhielt er sein treues Schwert "Há-zá" - eine Waffe, deren Schärfe gerühmt wurde.
Îri'chem'kâ wurde ein treuer Anhänger des Corvikaner-Abtes Boronfried Sá'kurat, dessen Ziele der junge Kemi ehrte, mehr noch: innig verehrte! Der Widerstand gegen die verhassten Besatzer, die Ketzer und die Unterdrücker des Wahren Glaubens an den Heiligen Raben wurde sein lebensinhalt - er wusste, er wahrte die Traditionen des Allmächtigen Veser. Er war Kemi, er war Teil des Alten Volkes!
Erst viele Jahre später, viele viele Jahre später fand der nun langsam alternde Geweihte ein wenig Frieden. Im siebten jahr der kem'schen Unabhängigkeit verkündete die Hohepriesterin des Kultes die Negation der Exkommunizierung aller Corvikaner. Woraufhin der Erhabene Abt das Einstellen der Kämpfe befahl. Îri'chem'kâ war dem Ziel nahe, die alten, die wahren Sippen wieder voranzutreiben, den wahren Glauben walten zu lassen. Er war sich bewusst, dass Ihre Eminenz den Segen für das Reich und die Kirche brachte, auch wenn sie keine Kemi war - sondern gar aus dem dekadenten Al'Anfa stammte. Doch sie besaß den Einfluss und das Zeichen, den Kult zu leiten.
Im Zeichen dessen, dass die Weihe des mittlerweile 34jährigen Kemi durch die Heilige Eminenz anerkannt wurde, erlangte er mehr und mehr Einfluss und schon wenige Jahre darauf wurde Îri'chem'kâ zum Hüter des Veser-Tempels zu Cherep ernannt. In der Kurie trat er als überzeugter Anhänger des Erhabenen Abtes auf und als Gegner der liberalen Fraktionen. Die auch unter dem Nafe'phi-Zweig seiner Familie vertreten war. Als dann der verderbte Pâesta-Sproß den Aufstand der Laguana-Brüder und -Schwestern entzündete, blieb Îri'ch'kâ standhaft. Er verband sich nicht mit diesem Feind, sondern wahrte eine neutrale Stellung. Er zog nicht ins Feld gegen verblendete Ordensbrüder und er stellte nicht gegen die Soldaten der Schwarzen Armee. Dafür konsolidierte der fast fünf Dekaden zählende Priester seine eigene Stellung in den Festlanden. Diverse Aufträge als Außerordentlicher Inquisitor und beratende Gespräche mit lokalen Adligen - Chestis und unwürdige Hofschranzen nannte er sie immer - brachten ihm einen guten Ruf.
Der Pâstumai wurde gestürzt und doch kam das Reich nicht zur Ruhe. Vor Ujak focht er alte Mann mit ebet, Willen und geweihter Klinge wider dämonische und namenlose Entitäten, Mächte und Kultisten - in erster Reihe und mit innigem, leidenschaftlichem Eifer. Er hatte schon zuviele Kämpfe, zuviele Angriffe auf den Wahren Glauben erlebt, doch Kräfte des Ungenannten und der Siebten Sphäre in SEINEM heiligen Reich konnte Îri'chem'kâ nicht zulassen.
Auch diese Prüfung meisterten die Kemi und schon stand die nächste bevor: Die falsche Krähe hetzte Kirche und Adel gegeneinander und - Schande! Schande! Schande! - Îri'chem'kâ durchschaute das Biest nicht, nicht sogleich. Er war bereit, gegen das Reich zuaufzubegehren , denn es schien SEIN Wille zu sein, den die gerupfte Krähe verkündete. Doch sie sie wurde enttarnt, bevor es zu gewaltätigen Auseinandersetzungen kam und Îri'chem'kâ sah sich in einer großen Schuld. Zu Fuss pilgerte der schon 53jährige Tem'kat nach Laguana, nicht Sänfte, nicht Pferd, nicht Esel nutzte er, sondern nur ein schlichtes Boot, ihn von Frencaal aus nach Nechar'ka're Ta zu tragen. In den heiligsten Hallen des Raben zu Deren bat er um eine Audienz bei Ihrer Eminenz und erbat sich selbst die Entlassung aus seinem Amte als Tempelhüter. Die Schmach und die Schuld, der falschen Krähe entgegen gekommen zu sein lasteten ihm auf der Seele und er selber suchte die Sühne. So begann er die glorreiche Geschichte seines Volkes zu studieren, all die fremden, uralten Zeichen an den Wänden tief in den verlorenen Gängen Necharka're'tas zu archivieren, zu transkribiren, sich einzuverleiben. Um IHM zu dienen … und sich selbst zu strafen.
Doch Ihre Heiligste Eminenz, die Erste Rabendienerin Boronya von Nedjhit milderte die Strafe, indem sie den stolzen Kemi ehrte: Zum Ráneb wurde er erhoben, zum Ordenspriester des 7. Dars! Doch den aufkeimenden Stolz auf sich selbst unterdrückte Îri'chem'kâ - mühsam zwar, doch gekonnt. Nein, er durfte nicht stolz sein, er hatte zu büßen! Das war eine weitere Prüfung auf diesem steinigen Weg und er musste sie bestehen. In Demut annehmen, was ER ihm bescherte, sich nicht des Stolzes, gar des Hochmutes hingeben, das war Îri'chem'kâ's Streben zu diesem Zeitpunkte.
Vierzehn Monde lange verließ der Ráneb die Hallen und Gewölbe des Heiligtums nicht, sondern begab sich auf eine Reise in die Gründe seiner Vergangenheit und die von Reich und Kirche. Îri'chem'kâ entschlüsselte viele Schriftzeichen und erkannte, was in den jüngsten Tagen des glorreichen Reiches der Kemi geschah. Mühsam war es, doch der Priester gewann viele neue Erkenntnisse über das Walten Berens in den Frühtagen und über die Einheit von Reich und Kirche damals.
Es geschah nach vierzehn Monden und genau 21 Praiosläufen, nachdem sich Îri'chem'kâ in seine freiwillige Buße begeben hatte, dass die Imát Ni Laguana und Chenet Serija von Doorn sich des alten Tem'kat erinnerte, seine Befähigungen er- und anerkannte. Ein alter Dekan der Heiligen Hallen zu Laguana war vor wenigen Wochen verstorben - Boron sei seiner Seele gnädig - und sein Amt unbesetzt geblieben, bis … ja … bis zu dem Tage, an dem Ihre Ehrwürden Serija von Doorn an den alten Tem'kat herantrat. Doch dies war eine weitere Prüfung: Der Erste Dekan zu Laguana war niemand geringeres als der Spross des Mezkarai-Schergen von der Tanrát. Ather Boroniel Mezkarai - sein Vorgesetzter, ein Vorgesetzter Îri'chem'kâ Tem'kats!
Gestützt auf einen knorrigen, diamantharten Stock stapfte der alte Priester energisch voran. Die nachtschwarze Robe aus schlichtem Leinen war steif, doch erhaben, die Kapuze hatte der Alte tief ins Gesicht gezogen. Es regnete. Das Wasser lief in Strömen herab, doch unbeirrt setzte die bucklige, kräftige Gestalt ihren Weg fort.
Eingelassen in die Residenz des Akîbs von Dju'îmen, zog sich Îri'chem'kâ die Kapuze aus dem Gesicht. Das runzlige, von Sorgen und Verantwortung zerfurchte Antlitz zeigte keine Regung. Die Haut war dunkel, die eines reinblütigen Kemi, die Augen so grau, wie der Nebel des aus dem Regengebirge fließt. Das weiche Haupthaar war grau durch das Alter des Priesters, doch einstmals musste es so schwarz gewesen sein wie die Nacht ohne Mondschein. Auch der kurze, sorgfältig gepflegte Bart war grau und ebenso wie das Haupthaar, das dem Geweihten in sanften Wellen auf die Schulter fiel, musste auch der Bart einstmals nachtschwarz gewesen sein.
Die Hände mit denen Îri'chem'kâ die Kapuze aus dem Gesicht schob, waren schwielig und vom Alter gezeichnet, doch immer noch kraftvoll und hart. Es waren die Hände eines alten Mannes, der schwerste Arbeiten nie gescheut hatte, der tatkräftig mit anpackte, wo es anzupacken galt und der auch den bewaffneten Kampf gegen das Unheil nicht scheute.
Unter den vielen Falten seiner Robe schien sich ein alter, doch nicht ausgezehrter Körper zu verbegen. Nur die kräftigen Schenkel wurden kurz sichtbar, auch zwei starke Füsse, die in schlichten Sandalen staken, als der Ordenspriester kurz seine Robe lüpfte, um seine Füsse in ein kühles Fussbad zu stellen, nachdem er die kniehoch gebundenen Gurte der Sandalen gelöst hatte.
Wie sich der Priester bewegte, so meinte man immer noch etwas von der jugendlichen Kraft, von der Zähigkeit eines Kindes aus den Wäldern zu erkennen. Gewandt, nein gewandt und geschmeidig bewegte er sich nicht mehr - hier nagte doch schon das Alter. Doch Kraft und Stärke bewies Îri'chem'kâ immer noch.
Starr richtete er seinen Blick auf den schweigsamen Wilden, der mühsam den Boden wienerte. Starr war der Blick aus den nebelgrauen Augen, als wolle der Priester den Waldischen lähmen wie eine Viper das Kaninchen. Doch wie gelöst, wie sanft der Blick doch war, als er eine junge Priesterin erblickte, eine Verwandte aus der Sippe der Tem'kat'tur'anach, die stolz und erhaben drein blickend erschien, um ihn - den alten Priester, Relikt aus den Zeiten der Corvikaner - zu begrüßen und in allen Ehren zu empfangen.
Die Kammer war ganz nach seinem Geschmack eingerichtet worden, der Gastherr hatte den Priester nicht in eine luxusüberhäufte Grabkammer gesteckt. Eine kleine Schlafstatt, ein niedriger Tisch und ein einfacher Kerzenleuchter standen darinnen. Doch um Schlaf zu finden, reichte sie mehr als aus. Ruhig atmend nahm Îri'chem'kâ den Gürtel ab, der sein Priestergewand zusammenhielt und legte den Riemen auf den Tisch. Aus der kurzen, schmalen Scheide zog er den dunklen, scharfen Dolch der Laguana-Priester, darauf graviert einer der zwölf Dars. Sanft, als sei der Dolch ein zerbrechliches Ei, legte der Geweihte ihn neben dem Gürtel auf den Tisch. Und verharrte kurz, die kostbare Waffe anblickend.
Langsam ertönte die reine, tiefe Stimme des Priesters, melodisch ein Gebet mehr singend denn sprechend. Innig war es und stolz.
Sein Schwert, des Ordens Schwert, Há-zá, ruhte daheim, daheim in den Heiligen Hallen Laguanas. Es kam nur dann zum Vorschein, so es benötigt wurde. Îri'chem'kâ wandte seine tödliche Klinge nur noch selten an - er war alt.
Müde war er, ja… müde. Îri'chem'kâ war zwar nicht so alt wie der Erhabene Abt - beim Gedanken an diesen stolzen Diener des Raben, den Anführer der Corvikaner, sein Vorbild! erhellte sich sein Gesicht ein wenig - doch schon vom Leben getroffen. Jahrelang musste erseinen unüberwindbaren Willen beweisen, Widerstand leisten, doch nie verlor er sein großes Ziel aus den Augen! Nie!
Er gedachte der eklen Chestis hier im Altehrwürdigen Lande. Überall ungläubige Chestis, die ihre Marotten auslebten und damit IHM höhnten. Es waren furchterregende Zustände in Terkum, ja im ganzen Kahét. Das Reich konnte nur dann zu seiner früheren Größe gelangen, wenn alle Chestis dem Wahren Glauben folgten und den Weg der Fünf Tage beschritten hatten oder ausgemerzt waren.
Îri'chem'kâ gedachte der langsam aussterbenden Tradition der wahren Kemi, der alten Familien die da einst das Herz des Reiches bildeten und nurmehr gering waren in dieser Masse an Fremdländern. Doch nun ging es aufwärts, jetzt wo sein Verwandter Tíamar auf dem Neset-Thron von Terkum saß. Und er würde ihm helfen, die Corvikaner zu alter Größe zu bringen. Die alten Familien würden erstarken!
KRACH! Kurzerhand donnerte er dem träge den Boden wienernden Waldische seinen Stock um die Ohren. "Los, arbeite, Ungläubiger! Nur durch Fleiß kann er die Gunst des Heiligen Raben erlangen, nur durch Demut vor seinem Volk!" Zufrieden sah Îri'chem'kâ, wie der Waldmensch nun hektisch zu wienern begann. ‚So ist es recht' dachte er. ‚Nur wenn wir IHM so dienen, wie ER es wünscht, werden wir über die Dekadenz aus dem dämonischen Imperium obsiegen.'
Langsam schritt er die breite Treppe des Anwesens hinauf. Die Hausherrin hatte ihn eingeladen, eine ekelhafte Buhle, die ich ihrer Lasterhaftigkeit und Faulheit Rang und Namen erschlafen hat! Îri'chem'kâ runzelte erbost die Stirn, die dicken Brauen zogen sich zusammen, die tiefliegenden fahlen Augen überzogen sich mit einem düsteren Schatten. Erbost war er über diese Zustände - überall sollten die Regierung in die Hand der Kirche übergehen, überall! ‚Doch die Zeit scheint noch nicht gekommen!' dachte er realistisch.
Dann spürte er, wie die Hand seiner Enkelin in die seine glitt. Sie stützten sich beide - der Alte und die Junge. Îri'chem'kâ lächelte, als er die untersetzte Priesterin des Raben ansah. Sebáchu Tem'kat, seine Enkelin. Tochter seiner Tochter und sein Augenstern. Sie konnte es noch weit bringen, da war sich der alte Priester sicher. Gemeinsam schritten der Greis und die junge Frau die Treppe hinauf, wo sie erneut der lästerlichen Dekadenz ins Auge blicken mussten. Doch sie würden triumphieren!
Spät in der Nacht war es schon, als ihn der Brief erreichte. Ein Schreiben aus Mohema, abgesandt von seiner liebsten Enkelin Sebáchú Sí-a'merut. In dem flackernden Licht der simmernden Kerze las er die kem'schen Schriftzeichen. Als er geendet hatte, legte der Ráneb den Brief mit zitternden Händen beiseite. "So…" zischte er ins das Halbdunkel. "… unser lieber Verwandter geht also eigene Wege, was? Er solle sich hüten, die Traditionen unserer Familie in den Staub zu treten!" Unbewusst hatte die knochige Hand zum Dolch gegriffen, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag, die langen, geradezu dürren Finger schlossen sich um das Heft und der alte Mann hob die Ritualwaffe an. "Es sei!" fauchte er in der Sprache seines Volkes.
Zitate:
"Das Wort des Alleinseligmachenden ist die schärfste Waffe, die der Gläubige kennt. Verachte es und du stirbst!"
"Nur in der Aufgabe von alledem, was uns das Leben erleichtert, werden wir unsere Erfüllung finden. Nur der findet Erfüllung, der sich den Prüfungen des Lebens stellt, die der Allmächtige ihm durch das Leben gestellt hat."
"Mag die Heilige Eminenz auch den Frieden zwischen den Schlächtern und uns befohlen haben, das Blut vieler treuer und unschuldiger Seelen ist noch ungesühnt. Und wir sind geduldig und warten die passende Gelegenheit!"
"Chestis sind schwache Seelen - immer anfällig für die Versuchungen des abgrundtief Bösen. Selbst wenn sie die Heilige Weihe durch ihre Heilige Eminenz empfangen haben!"