Persönliche Adjutantin der Gardekriegsherrin

Nur noch einen Tag, dachte Sayada, als sie sich nach dem mühseligen Ritt auf dem Bett ausstreckte. Sie war schläfrig, denn sie war es nicht gewohnt, Tag um Tag auf einem Pferderücken zu verbringen und noch weniger war sie es gewohnt, sich mit derart spärlichen Räumlichkeiten wie hier in Henemmet zufrieden zu geben. Während sie sich katzengleich auf dem Strosack räkelte, fragte sie sich, ob es im Hause ihrer Eltern ebenso karg ausgesehen hatte, denn über ihre Herkunft wußte Sayada nichts, weder wer oder was ihre Eltern waren, noch woher sie stammen oder was geschehen war, daß sie ihre Tochter unmittelbar nach ihrer Geburt in ein Edel-Bordell im aranischen Elburum in Schuldknechtschaft gegeben haben.


Oh sicher, sie konnte sich über ihre Jugend gewiß nicht beklagen, zumindest zunächst nicht. Mit einem zynischen Lächeln dachte sie daran, wie es ihr auch nicht einen Tag weder an Bildung noch an Kleidung oder Nahrung mangelte. Es war ihr aber immer klargewesen, daß sie den Anweisungen ihres Besitzers zu gehorchen hatte, daran ließ er keine Zweifel, ihre Fragen nach ihren Wurzeln, ihrer Herkunft bleiben damals wie heute unbeantwortet und all die Wohltaten, die er in jungen Jahren über das hübsche Mädchen ausschüttete, waren keine Liebesgaben sondern dienten dazu, sie zu einer "Unterhalterin" auszubilden, die auch den exzentrischsten und höchsten Ansprüchen genügte. Und wieder, wie immer, wallte in Sayada eine unbändige Wut auf, als ihre Gedanken einmal mehr das plötzliche Ende ihrer langen Kindheit erreichten. Mit zwölf Jahren, als die junge Frau begann, erste begehrliche Blicke von Männern und Frauen auf sich zu ziehen, geschah es, und heute noch war es ihr nicht möglich, auch nur ein Wort über diese grauenvolle erste Nacht mit diesem fetten, ekelhaften aber sehr reichen Novadi-Sheik zu verlieren.


Sayada erhob sich und öffnete die Holzläden vor dem Fenster, sie brauchte Luft, denn es schien ihr, als läge der Geruch nach Schweiß, Parfum und Kamelmist plötzlich in diesem Zimmer. Oh ja, am Anfang hatte sie sich oft gegen den sie anekelnden Dienst gewehrt, doch im Verlaufe der Monde, als sie lernen mußte, wie man einem Menschen Schmerzen zufügen konnte ohne ihn zu entstellen, lernte sie, daß es besser ist, sich zu fügen, das Unvermeidliche zu ertragen und das zu tun, was man von ihr erwartete. In dieser Zeit perfektionierte sie ihre Maske, deren hübsches Lächeln auch heutzutage niemand zu durchdringen mag.


Sie war alleine in diesem Zimmer, also bestand kein Bedarf für die Maske, und so spürte Sayada heiße Tränen über ihre Wangen laufen, der Schmerz, den sie empfand, würde wohl nie vergehen. Sie dachte an jene gewisse Chanya Al'Plâne, die dereinst ihre Dienste für eine Nacht einkaufte, und sie erinnerte sich daran, wie die beiden Frauen aufgrund ihrer ähnlichen Leidensgeschichte eine Art Seelenverwandtschaft spürten, wie sich für sie plötzlich ein Weg aufzutun schien, all das luxuriöse Elend hinter sich zu lassen. Chanya kaufte sich Sayada und nahm sie mit nach Kemi, wo sie auch das Liebesverhältnis zu der jungen Landsfrau nicht daran hinderte, Sayada zu adoptieren und ihr ihren Namen zu geben.


Dafür liebte sie diese Frau. Sayada sehnte sich nach der Umarmung ihrer Herrin, nach deren sanften Händen, ihren Küssen und ihrer Liebe. Sie mochte Chanyas Art, all das einfach zu tun, was sie mochte, Konventionen und Regeln zu ignorieren, wenn es ihr angemessen schien. Lächelnd dachte die junge Frau daran, wie Chany sie einfach so, ohne jede Diskussion mit einem Armeerang versehen hatte - obschon Sayada kaum ein Schwert halten konnte noch irgendeine Ahnung von strategischen und taktischen Fragestellungen hatte.


Dennoch, Sayada fand, daß sie ihrer Verantwortung gerecht geworden war. Zufrieden dachte die Adjutantin daran, wie sie dank ihrer unbestreitbaren administrativen Fähigkeiten die vormals chaotische Militärverwaltung von Grund auf umgekrempelt hatte, wie sie zusammen mit Quenadya Mezkarai ein modernes Militärgesetz inspirierte und letztlich sogar eine umfassende Strukturreform der Schwarzen Armee eingeleitet hatte. Sayda nahm ein Stück Pergament aus ihrer Satteltasche und notierte geschwind in akkurat gezeichneten kem'schen Glyphen noch ein paar Ideen zu letzterem Thema - sie mußte dies nach ihrer Rückkehr unbedingt noch mit ihrer Herrin diskutieren! Oh ja, Chanya wird wieder nörgeln, wird sie wieder als "pingeliges Wiesel" bezeichnen, und Sayada wußte, daß ihr Perfektionismus es niemandem leichtmachte, mit ihr zu arbeiten. Aber dennoch. Details waren wichtig... als sie sich wieder aufs bett legte, wünschte sie sich, sie könnte bereits wieder umkehren, zurück ins heimische Djáset reiten... sie liebt den Luxus und den Müßigang fast genauso wie ihre Akten und haßte nichts mehr, als ihre edle Gewandung durch lange Märsche durch den schlammigen und unwirtlichen kem'schen Dschungel zu beschmutzen - eben das, was Chany ihr nun aufgetragen hatte.


Sayada sprach für sich ein kurzes Gebet, denn in den letzen Monden hatte sie mehr und mehr Trost und Zuversicht in der kem'sche Boronsreligion gefunden, und es war ihr egal, daß ihre Umgebung es befremdlich findet, daß ihre Hinwendung zu radikalen Ansichten immer deutlicher zutage tritt. Kurz dachte sie noch einmal an das Ziel ihrer Reise, Wereset, und die vage Hoffnung, die Expedition ins wilde Innere der Reichsmark würde noch vor Beginn scheitern, lebte noch einmal kurz auf, bevor sie endlich Schlaf fand.