Managarm
Cronjustitiar der Kemi, Akîb Ni Zenach
»Das war also der Mann, der sich Managarm nannte. Er stand bei einer Runde verschlossener Greise, diese alle in bodenlangen Gewändern, teils reich ornamentiert, und er plauderte unbefangen und mit liebenswürdigem Gebahren. Nein, für einen Magus hielt ich ihn nicht, eher für einen höflichen Rat des Reiches, so wie er sich kleidete, gab und sprach. (...)
Er war eine der seltsamen Gestalten, die der Pfad der linken Hand hervorgebracht. 29 vor Hal im Monde der Tsa geboren in einem Dörflein am Mysob im Königreich der Mizirionen. Konvent der verfinsterten Sonnenscheibe, dunkle Halle der Geister, Magister magnus von Brabak - ja, das beschattet schon schwer die Vita dieses Herrn Managarm. Dabei sagt man doch, daß er den Vinsalter Almanach noch seinen bosparanischen Folianten vorzöge...
So, wie er da stand und parlierte, mochte ich weder das wenig schöne Wort vom 'asketischen Pedanten' glauben, das man mir auf ihn gemünzt hatte, noch die dunklen Geschichten, allesamt so beweisbar wie Phexcaer' Gerüchte, und doch allenthalben gemunkelt: 'Anmaßung wider Alveran und Dere' war das Häufigste und die Kunde von einem ominösen 'Verrat', über den keiner sich auslassen konnte oder wollte; zudem eifriges Nachforschen nicht ungefährlich, sintemal der Geist jenes Herrn schlicht unberechenbar sei: Herzlichkeit, Griesgram, Goldleims-Humor, die schlimmste Tobsucht in stetem Wechsel - wer bei diesem Ausbund reinsten Chaos' an gewisse Wesenheiten denke, an eine ganze bestimmte sogar, der sei versichert, daß eine über die übliche Buhlerei hinaus seltsame Bekanntschaft bestehe, so erfuhr ich unter der Hand. Darauf angesprochen, war einzigartig die Antwort eines Magus der Contraria zu Perricum: da er den Namen hörte, 'Managarm', verdunkelte sich sein Gesicht, vor Abscheu spie er aus!
Aber: am Darpat nennt man diesen Namen mit Liebe, und in den Dörfern erzählt man viel von einer todgeweihten Nacht, da der vielgehörnte Schrecken schon über dem Anger schwebte - wäre Magister Managarm nicht gewesen. Und sicher ist ebenso, daß die Herren von Al'Anfa ihm aus irgendeinem Grunde noch weniger Zuneigung entgegenbringen als Perricum: ein (eigenartiger, aber immerhin) Leumund von der 'Pestbeule des Südens'. (...)
Da löste er sich aus der mißmutig-gelehrten Gruppe und kam auf mich zu. Weniger auf mich zu, als an mir vorbei. Und obgleich man mich doch so gewarnt hatte, sprach ich ihn an! Sein Blick war überrascht, aber er schüttelte mir freundlich die Hand. Kurz erwähnte er lobend die Schönheit meiner Heimatstadt. Und ich? Ich starrte nur in die Vulkanglasaugen, die so schwerst gerötet waren, als hätt' er sich seit Monden keinen Schlaf gegönnt! Da war es erstmals, das Gefühl: so gerötet nicht mangels Ruhe, sondern ob der seltsamen Dinge, die gierig zu sehen. Bescheiden der Leib und maßlos der Geist. Wider Alveran und Dere... Dann war es schon vorbei. Noch einmal schenkte mir der Magus ein Lächeln. Er wandte sich ab zum Gehen - just als es begann, mich zu frösteln, wie wenn mich etwas unsagbar Kaltes an der Schulter berührte. Doch, mich umwendend, war da nichts. Verwirrt blickte ich ringsum. Er hatte den Raum schon verlassen...«
Reisebuch des Glabo von Vinsalt, aus Cap. XXVI: Eyn Allaventurischer Convent
Der Blick ist dem Betrachter zugewandt, doch wird es nicht zu einem einander anschauen kommen. Das nur Ungefähre der Blickrichtung verstärken die markanten dunklen Flecken, welche die Pupille umgeben, und das Weiß aus dem Auge verdrängen.
Das Gesicht, dem diese vagen und etwas haifischig starren Augen eignen, leuchtet fahl, leicht schräg geneigt, im oberen Teil des Bildes. Die Umgebung hebt die unnatürliche Blässe hervor: das dunkle Haar, der reliefartige, braune Hintergrund - auch hier wieder bleibt das räumliche vage, unbestimmbar, Fixpunkte wie das Gesicht und die eleganten, blutleeren Hände hängen arrangiert in der Fläche, nichts gibt Auskunft über Tiefe oder Art des Raumes.
Den Mund zeichnet die Andeutung eines Lächelns oder eine energisch gepresste Linie: je nachdem, wie der Beobachter sich positioniert, oder welche Erwartung er hegt; er wird sich nicht auf einen Eindruck einigen können, ebenso wenig wie bei der Frage, ob jene Lippen bläulich - fröstelnd violett oder kraftvoll rot sich vom übrigen Antlitz abheben. Weitere Details verschmelzen mit dem starken Halbschatten, der die rechte Gesichtshälfte absorbiert: ein Spitzbart? Die Linie der Brauen? Das rechte Auge gar?
Alles weitere scheint Staffage, Pose: die Gewandung ist schwarz, über Schnitt oder Material ist wenig zu sagen. Die Hand hält ein Buch, vielleicht auch ein Brett? Warum ein Brett? Aber auch: warum ein Buch? Beiwerk, alles Beiwerk. Die Motive des Reliefs, welche am ehesten eine (eigene) Räumlichkeit aufweisen, und wie Flügel den zentralen Korpus des Dargestellten hinterfangen, bleiben unklar, sie mögen krude und unheimliche Körper, Akanthuszweige des Ruhms, eine Lyra, tatsächlich Engelsflügel bedeuten.
Aber so vielschichtig und unbefriedigend das in bedrückend - schweren Farben gehaltene Gemälde auch wirken mag, zugeschrieben einer überaus berühmten Zauberin, dies ist das einzige erhaltene Porträt von Managarm aus Brabak, seines Zeichens Baron von Zenach im Königreich der Kemi, der dienstälteste Baron des Reiches gar, Kronjustitiar und Titular - Herzog des Reiches, Meistermagier mit eigenem Siegel der Bruderschaft der Wissenden, den zu Lebzeiten viele den "Schwarzen Baron" genannt haben. Es ist nicht allzu viel über ihn bekannt, was als gesichert gelten könnte. So wenig zurückhaltend
er in vielem schien, so verschlossen blieb er auch da, wo er sich ostentativ in Szene setzte. Einige beschreiben ihn als einen höflichen und hochcultivierten Herren, andere als hochmütig, arrogant und unduldsam. Etliche haben seine Integrität in den Ämter gelobt, und noch mehr haben Widerwillen, sogar Abscheu gegenüber den Leidenschaften und Zielen des schwarzen Barons geäußert, mit denen immer wieder die fast blasphemische Herausforderung der Natur verbunden wurde. Selten schien ein Magier andere seiner Profession so verachtet zu haben wie der Magister aus Brabak, und einmalig ist auch das Unbehagen, welches seinesgleichen ihm entgegenbrachten, wie einem Fremdkörper, welcher sich unstatthaft in ihre Mitte gestohlen hatte, und sich Dinge aneignete, die unkonventionell, ja dezidiert gegen ihre Konventionen waren. Er hatte Schüler, verfasste wohl auch Bücher, aber sein Opus Magnum, welches man ihm nachsagt, ist entweder verschollen oder keiner reclamiert, es zu besitzen oder nur zu kennen.
Trotz allem wurde er auch Teil der kemischen Gesellschaft, einer Theokratie, in welche er auch wieder kaum zu passen schien; aber die Krone, die sich von einem Gotte selbst ableitete, gab ihm sein Lehen, erhob ihn zu ihrem Obersten Richter, und keiner weiß, wie die Beziehung und die Verständigung zwischen diesen beiden Gegensätzen erfolgt ist, wenn überhaupt.
Das Bild ist inscribiert, in feinen goldenen Lettern. "Ein Mensch ist nicht immer, was er scheint, aber selten etwas besseres." Und damit erstreckt sich die Verweigerung einer klaren Aussage, einer Haltung wenigstens der Malerin, bis in den inkorporierten Text.
Mit der Zeit zog sich Managarm mehr und mehr aus dem politischen Leben zurück, gab Provinz und schließlich gar das Amt des Cronjustitiars auf. Nach einer langen und intensiven Besprechung bei Nisut Peri III. zog er sich in seinen Wohnturm Su'umbraglio in Zenach zurück; mondelang waren keinerlei Lebenszeichen von ihm zu vermerken. Eine oberflächliche und kurze Durchsuchung des Turms zeigte diesen geräumt und verlassen. Niemand weiß, wo Managarm verblieben ist - und niemand MÖCHTE es auch wissen.