Tá'akîb Irakema

 

Vorwort

Auf seinem Zuge der Erforschung des tropischen Regenwaldes wurde Almo Entwistel noch zu Lebzeiten des Akîbs von Irakema beauftragt, eine Beschreibung der Ta'akib Irakema anzufertigen. Almo Entwistel hielt sich nach der Fertigstellung seines Buches "Das Paradies" noch zwei weitere Jahre in Irakema auf, um die Landschaft, die Eigenheiten der Bewohner und die Tier- und Pflanzenwelt zu beschreiben. Diese Beschreibung fällt wahrscheinlich nicht ganz zur vollen Zufriedenheit der Leserin aus, doch ist dies vollste Absicht, denn der Leser soll sich in seiner Phantasie nicht eingeengt fühlen, da dieses Land in keinster Weise bis ins letzte Eckchen erforscht ist.

 

Vom roten Falken und den Waldmenschen

Der rote Falke, der "Irakemai" wie ihn die Eingeborenen nennen, gab diesem Landstrich, der sowohl dichten Regenwald in seinen urtümlichsten Erscheinungen als auch die nordöstlichen Ausläufer des Regengebirges beheimatet, seinen Namen. (Obwohl der Name "Irakema" in der Sprache der Eingeborenen "grüne Wildnis" bedeutet, so benannte man die Tá'akîbet doch nach ihrem markantesten Lebewesen.) Und tatsächlich gibt es den roten Falken scheinbar nur hier, da er eine spezielle Züchtung der Ikemu-Oijaniha ist. Mit einer für seine geringe Größe unvorstellbaren Geschwindigkeit, denn dieser Falke, dessen Bild auch Irakemas Wappen zierte bevor sich Akîbet Rileona nach dem Tod ihres Mannes für das Wappen ihrer Familie entschied, gilt als einer der kleinsten Raubvögel überhaupt, jagt er selbst den Paka, eine Riesenart unseres Meerschweinchens, das fast doppelt so groß ist wie er selbst.
Doch an seiner Beute hat er selten lange Freude, denn meistens hat ihn ein Ikemu-Oijaniha bei der Jagd auf das schmackhafte Paka angesetzt. Die Ikemu-Oijaniha bilden neben den Nepacha- und den Dewa-Oijaniha den größten Volksstamm der Oijaniha, die auch in den Ta'akibs Câbas, Mercha, Yret Nimaat und Sechem Dewa beheimatet sind.
Die Ikemu-Oijaniha, die den größten Teil der hier lebenden Eingeborenen-Stämme ausmachen, leben in einem Patriarchat zusammen mit einem Rechtssystem, das dem unsrigen sehr ähnlich ist. Sie sind größtenteils Jäger und Sammler und treiben nur wenig Landwirtschaft. In dieser Sippe kümmert sich jeder um jeden und sogar mit den Nepacha-Oijaniha verbindet sie eine enge Freundschaft, was man nicht von jeder Sippe behaupten kann. Was sie zum täglichen Leben brauchen, beziehen sie aus dem Regenwald rings um sie herum. Und sie nehmen sich auch nur das, was sie wirklich zum Überleben brauchen. Persönlicher Besitz ist ihnen fremd. Der Drang zum Überleben ist bei jedem Einzelnen viel stärker ausgeprägt als die Gier nach Gold. Die Geburt eines Kindes gibt jedesmal Anlaß zu einem großen Fest, bei dem die erwachsenen Männer Rauschkräuter rauchen, während die Frauen und Kinder die Musik auf selbst geschnitzten Flöten und ausgehöhlten Baumstämmen nach bestem Können fabrizieren. Und das Können ist ebenso gewaltig wie die akrobatischen Einlagen der berauschten Männer, die mit atemberaubenden Sprüngen um und über das große Lagerfeuer in der Mitte tanzen. Zu vorgerückter Stunde ißt man dann die überreifen Früchte des Kyela-Baumes, von denen eine einzelne Frucht die berauschende Wirkung eines großen Bechers Wein haben kann, denn diese Früchte gären sehr schnell und haben leider den Nebeneffekt, der einem am nächsten Morgen Kopfschmerzen der furchtbarsten Art bereitet.
Die Nepacha-Oijaniha leben in Einklang mit den Ikemu-Oijaniha und nicht selten kommt es vor, daß Feste beider Sippen gemeinsam abgehalten werden, denn die Rituale und größtenteils auch die gesamte Kultur sind sich ausgesprochen ähnlich. Jedoch steht bei den Nepacha-Oijaniha nicht so sehr die Geburt eines neuen Stammesmitglieds im Vordergrund bei ihren Festen, sondern eher der Tag, wenn die männlichen Kinder das zwölfte Lebensjahr erreicht haben, was die Aufnahme als volles Mitglied in die Gemeinschaft bedeutet. Dann bekommen die Jungen ihre ersten Waffen - Messer, Bogen und Speer -, die sie oftmals ein Leben lang behalten, auch wenn sie nach vielen Jahren zerbrochen oder abgenutzt sind, denn diese Waffen, von denen keine einer anderen gleicht, sind die wichtigsten Symbole der Männer.
Bei den Dewa-Oijaniha, einer eher "räuberisch" lebenden Sippe, hat sich ein sehr makaber erscheinender Brauch herauskristallisiert. Denn in dieser matriarchalisch lebenden Sippe steht der Mann eher im Hintergrund und der "Häuptling" ist immer die älteste Frau der Sippe. Will nun ein Mann als gleichberechtigtes Mitglied neben den Frauen in die Gemeinschaft aufgenommen werden, so will es der Brauch, daß derjenige eine Art Patenschaft für ein Neugeborenes übernehmen muß. Dazu muß der Mann unter Beweis stellen, daß er würdig genug ist. Sobald das Kind entwöhnt ist, nimmt der Mann es mit in den Dschungel. Er muß mindestens drei Wochen auf das Kind aufpassen, für es sorgen und es vor allen Gefahren schützen. Wenn er das Kind nach dieser Zeit gesund und ohne jeglichen Mangel zurückbringt, so ist er in die Gemeinschaft aufgenommen, bekommt seinen Platz in der Hierarchie der Sippe zugewiesen, darf sich eine Frau nehmen und gilt von nun an unter den Männern als höchst angesehen. Die Männer eifern sich natürlich nach und versuchen, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Die längste Zeit, die ein Dewa-Oijaniha im tiefsten Dschungel mit seinem Schützling verbracht hat, waren sage und schreibe 26 Wochen. Kommt ein Dewa-Oijaniha ohne das Kind zurück, so kann er sicher sein, daß ihm die Verbannung aus der Sippe oder gar ein langsamer Tod bevorsteht. Aus diesem Grunde kehren die meisten Dewa-Oijaniha gar nicht erst zu ihrer Sippe zurück, wenn ihnen klar wird, daß die keine Chance haben, die Aufgabe zu erfüllen. Dadurch werden sie zu "Vogelfreien"; sie haben ihr Zuhause verloren und zumeist auch allein nicht mehr den Lebenswillen, der zum Überleben notwendig ist. Es bleibt ihnen höchstens noch die Aufnahme bei der Sippe der Dewa-Oijaniha, die außerhalb Irakemas lebt und bei denen es diesen Brauch nicht gibt. Doch eine solche Aufnahme ist selten.
Eines jedoch ist allen Sippen Irakemas gemein: Sie betrachten sich nicht als die einzigen Herren des Regenwaldes und sind gern bereit, mit den weißen Siedlern in Frieden zusammenzuleben, so die weißen Menschen ihrerseits dazu bereit sind. Es hat sich besonders in der Vergangenheit gezeigt, daß die Weißen aus der Zusammenarbeit mit den Eingeborenen nur profitieren können. Nicht nur daß die Eingeborenen die Weißen in ihrem Kampf um Unabhängigkeit unterstützten und in die Schlacht zogen, viele Jäger, Händlerinnen und Bauern haben eine Menge von ihnen über Jagdtaktiken oder über das Überleben in der Wildnis gelernt und im Gegenzug bieten die Weißen den Eingeborenen die Perfektion ihrer primitiven Werkzeuge und den regelmäßigen Besuch der in Irakema ansässigen Heiler an, die schon mehr als einmal das Ausbrechen von Krankheitsepidemien verhindern konnten. Jedem hier, ist sehr daran gelegen, das Gleichgewicht zwischen Weißen und Eingeborenen nicht zu stören. Der wohl bekannteste Zwischenfall führte zum Tode des ersten Akîbs Irakemas: Sklavenjäger aus Al Anfa hatten sich einen ganz anderen Nutzen von den Eingeborenen erhofft, doch konnte dieses Vorhaben in letzter Minute verhindert werden, worauf jedoch der Akîb im Kampfe fiel.

 

Minen und Felder

Landwirtschaft und Bergbau halten sich, was die Zahl der Beschäftigten angeht, ungefähr die Waage. Denn an Bodenschätzen hat Irakema ebenso viel zu bieten wie an landwirtschaftlichen Produkten. Gefördert wird neben Gold auch Silber, Diamanten, Feuerstein, Salz, Eisen und Kohle. Die Landwirtschaft hat sich nach anfänglichen Schwierigkeiten und den Kaulata-Räumungen ebenso in Irakema behaupten können wie der Bergbau schon lange Zeit vorher, so daß die Tá'akîbet inzwischen in der Lage ist, ihre Einwohnerinnen und Einwohner zu ernähren und noch genügend Vorrat für künftige Generationen hat. Was nicht selbst verbraucht oder in anderen Provinzen gegen lebenswichtige Dinge eingetauscht wird, wird nach Andju in das dortige Kontor der Brakem-Südmeerkompagnie transportiert, von wo aus die Gaben der Götter in alle Länder transportiert werden.
Die Landwirtschaft in Irakema hat sich durch Landgewinnung zu dem entwickelt, was sie heute ist. Sie ist ertragreich genug, um alle Einwohnerinnen und Einwohner Irakemas durchzubringen, doch ist man bei der Ausgewogenheit der Nahrung noch immer auf die Brakem angewiesen, obwohl man immer mehr dazu übergeht, nicht nur Weizen, Roggen und anderes Getreide anzubauen, sondern auch Obst und Gemüse, um Krankheiten, wie z. B. Skorbut, vorzubeugen. Fleisch steht allerdings nicht ganz so häufig auf dem Speisezettel. Die wenigen Rinder, Schafe und Ziegen werden zumeist anderweitig als Zugtiere, Woll- und Milchlieferanten verwendet und nicht für jeden ist "gerösteter Brüllaffe" eine Delikatesse. Doch ist man hier trotz allem zufrieden, wenn man nach einem langen und arbeitsreichen Tag auf ein bestelltes Feld mit der Hoffnung auf eine reiche Ernte blicken kann. Hier lebt man weit weg von Krieg und wirklichem Elend friedlich mit seinem Nachbarn zusammen und ist glücklich mit dem, was man hat. Hier kann man sicher sein, in der Not eine helfende Hand neben sich zu haben, wenn die Ernte wider Erwarten doch nicht den gewünschten Erfolg gehabt hat. Nicht alles Gold der Welt kann einem das Leben hier ersetzen, denn man braucht nicht viel um sich hier eine Existenz aufbauen zu können, von der manch ein rastloser Wanderer nur träumen kann.

 

Der Taco-Fluß

Der reissende Gebirgsfluß Taco, was in der Eingeborenensprache so viel wie "Todbringer" bedeutet, ist nur an drei Monden im Jahr befahrbar. Dann allerdings können sogar kleine Kähne mit kombinierter Segel-, Muskel- und Zugkraft stromaufwärts bis nach Andju gelangen. Da der Fluß sein Bett bis zu 13 Schritt tief in den Fels eingegraben hat, mußten auf großen Strecken Treidelpfade unter schwierigsten Bedingungen in das harte Gestein geschlagen werden. Über sieben Jahre hat es gedauert, die sechs Schritt Höhenunterschied zwischen Andju und dem Anlegesteg zu überbrücken und den Steg so präzise und genau zu konstruieren, daß die flußabwärts von den weiter oben gelegenen Bergbaugebieten hinuntertreibenden Kähne und Boote mit ihrer kostbaren Ladung mit Seilen, die durch Armbrüste auf die mit unvorstellbarer Geschwindigkeit treibenden Boote geschossen werden, eingefangen werden können und nicht wenige Meilen weiter gegen die steilen und zerklüfteten Felsen geworfen werden und mitsamt der wertvollen Ladung zerschellt dem Fluß zum Opfer fallen. In den übrigen neun Monden schwillt der Fluß durch die starken Regenfälle derart an, daß er selbst für die geübtesten, mutigsten und tollkühnsten Flößer unbefahrbar wird. Viele haben es trotzdem versucht um die Waren doch noch zum abgesprochenen Termin nach Andju zu schaffen, doch erzählt man sich an den Lagerfeuern der Bergleute wahre Schauergeschichten von den Unglücklichen, die ihre Fähigkeiten maßlos überschätzten, nur um die Prämie einzustreichen. In Windeseile werden die angekommenen Boote in Andju entladen und sofort wieder mit Lebensmitteln und Werkzeugen, dem Nachschub für die Bergleute, beladen, die dann wieder von Pferden und Männern flußaufwärts die Treidelpfade entlang zu den Minen gezogen werden.
Diese Symbiose erfordert von allen Beteiligten allergrößte Aufmerksamkeit und jeder ist sich seiner Verantwortung bewußt, denn der Ausfall auch nur einer einzigen Lieferung würde für die Minenarbeiterinnen und -arbeiter tagelanges Hungern bedeuten. Der Transport der Waren über die Bergpässe mit Lastenträgern und Packtieren gestaltet sich ungleich schwieriger, denn oft genug verlieren Mensch und Tier auf den schmalen und oftmals mit Geröll und Schutt versperrten Wegen den Halt und somit auch Leben und Ladung. Auch Wegelagerer sorgen in dieser unwirtlichen Gegend dafür, daß die meist nur schlecht bewaffneten Karavanen zu einer leichten Beute werden.

 

Die Orte Irakemas

 

Stadt Andju:


Die Hauptstadt Andju, in der Sprache der Kemi "Sonnenaufgang" geheißen würde man andernorts mit ihren 302 Einwohnernwohl kaum mit dem Wort "Stadt" bedenken, doch ist Andju neben den Dörfern Neu-Langen und Meria der größte Ort Irakemas, einst Sklavenjägerstützpunkt, heute jedoch Heimat der verschiedensten Bevölkerung.
Andju ist wahrscheinlich die merkwürdigste Stadt, in der ich je verweilte. Die Verschiedenheit ihrer Einwohnerinnen und Einwohner, die trotz oder gerade wegen ihrer Gegensätzlichkeiten so friedlich zusammenleben, findet sich wohl nur hier in diesem Land, das unter der Herrschaft und dem Joch seiner einstigen Kolonialherren stark gelitten hat.
Am eindrucksvollsten ist wohl für den Reisenden, der zum ersten Mal eines der beiden Tore Andjus durchschreitet, das Stadtbild, welches hauptsächlich aus dicht beieinander gedrängt stehenden Häusern besteht. Doch mit diesem Wort lassen sich die entweder aus verschiedenfarbigen Stämmen oder bunt bemalten und mit allerlei Schmuck- und Schnitzwerk verzierten Blockhäuser kaum bezeichnen. Auf den ersten Blick sehen diese Häuser recht armselig aus, doch täuscht das, wenn man durch die sauberen Straßen schlendert und sich die nach frischem Essen duftenden Häuser auch einmal von Innen anschaut, was durch die zumeist offen stehenden Fenster sehr gut möglich ist. Ja, sie laden geradezu zum Eintreten ein, um den Bewohnerinnen und Bewohnern einfach nur so einen guten Tag zu wünschen und sich nach den neuesten Nachrichten zu erkundigen. Und gerade die wenigen Steinhäuser sind es, die mit ihrem tristen Grau überhaupt nicht in das fröhliche Bild der Stadt zu passen scheinen.
Das Geschrei spielender Kinder mischt sich mit dem der Marktschreier, die mit lauten Stimmen der verschiedensten Sprachen ihre Waren anpreisen, denn hier ist jeder Tag ein Markttag. Deshalb beherbergt Andju tagsüber auch viele Bauersleut aus Irakema, die ihre Waren gegen Dinge des täglichen Lebens eintauschen. Man übergeht gern den Weg über das Bargeld, da das tauschen viel einfacher ist. Überraschend ist das Warenangebot, denn hier, weit weg von jeder größeren Stadt, ist es erstaunlich, wie es die Händler schaffen, Waren anzubieten, die man hier niemals vermuten würde. Dementsprechend groß ist auch die Zahl der verschiedenen Händler und Handwerkerinnen.
Die meisten Händler sind auch gleichzeitig Handwerker, denn viele stellen die angebotenen Waren auch selbst her und es ist eine reine Freude, den Kunstschmieden und Tuchmacherinnen bei der Herstellung ihrer Meisterwerke zuzusehen. Am Unabhängigkeitstag geht es in Andju hoch her. Denn dann feiert man nicht nur den Tag der Freiheit, sondern auch das Regenfest. Der Regen gilt hier als Lebensspender und als göttliche Gabe Peraines und Efferds. Der oberste Priester des Efferdtempels breitet unter den neugierigen Augen der Einwohnerinnen und Einwohnern, die ausnahmslos an diesem Fest teilnehmen, sieben goldene Schalen aus. Damit wird symbolisch der Regen aufgefangen, Efferd geweiht und dann über die Felder ausgegossen, auf daß der Gott des Regens auch weiterhin das kostbare und lebensspendende Naß auf die Welt ergießen möge. Anschließend weiht die oberste Peraine-Geweihte den wertvollen Ackerboden, auf daß sich das Wasser mit dem Boden vermische und eine reiche Ernte hervorbringe. Während dieses Festes, das vier Tage lang dauert, steigt das Ansehen der Fischerinnen und Bauern ins Unermeßliche, allerdings auch die Preise für Fisch und Früchte.
Die Beerdigung der Toten hat der ehemalige Boron-Geweihte Erzino übernommen, der von den Einwohnerinnen und Einwohnern nur "Der Einsame" genannt wird. Obwohl er nicht mehr an sein Schweigegelübde gebunden ist, fühlt er sich seinem Gott, dem er 40 Jahre lang als Geweihter gedient hat, noch verbunden und redet nicht viel. Auf Wunsch der Angehörigen verbrennt er die Toten außerhalb der Stadt oder läßt sie auf kleinen Booten den Fluß hinuntertreiben. Obwohl Erzino kein Geweihter mehr ist, sind doch alle froh, daß er da ist, wissen sie ihre Verblichenen doch in den besten Händen.
Andju ist von einem hohen Palisadenzaun umgeben, der von dem einstigen Dasein Andjus als Sklavenjägerstützpunkt kündet. Da Andju ständig neue Bewohnerinnen und Bewohner beherbergen muß, muß auch der Zaun ständig erweitert werden. Je älter die Stämme des Zaunes sind, desto dunkler sind sie auch, und man kann an den hellen Stämmen gut erkennen, an welchen Stellen der Zaun erst kürzlich erweitert wurde. In die Stämme links neben dem Nordtor ist gar ein Kalender eingeritzt, vermutlich von einem ehemaligen Sklavenwächter. Er endet abrupt am 3. Ingerimm 2 v. S. G.. Warum ist noch völlig unklar. Die Tore sind auch, nicht wie die anderer Städte, Tag und Nacht geöffnet und nur von vier Mann und Frau der Stadtgarde bewacht.
Durchreisende aller Herren Länder kann man hier sehen, die auf Abenteuersuche selbst das kleinste Fleckchen Dere bereisen oder einen neuen Platz zum Leben suchen, von dem es in Irakema eine Fülle verschiedener gibt. Manche ziehen weiter, manche bleiben gleich für immer, denn hier muß man sich einfach wohl fühlen. Auch für den, der hier nur eine kurze Rast einlegen will, bietet Andju vielerlei Arten der Zerstreuung. Das hiesige Bordell allerdings wird zumeist nur von alteingesessenen Einwohnerinnen und Einwohnern aufgesucht.

 

Dorf Schwachhausen-Riensberg:


Schwachhausen-Riensberg kann man weniger mit dem Wort Dorf bezeichnen, denn sie ist eine echte Bergbausiedlung, die nach dem Kaulata-Vertrag von der Einwohnerinnen und Einwohnern Sermas errichtet wurde. Fast alle Zwerge, die in der nahen Diamantenmine arbeiten, leben in dem Ort; zähe Burschen, denen es nichts ausmacht, den ganzen Tag und die halbe Nacht durchzuarbeiten, um auch den letzten funkelnden Stein ausdem Herzen des Berges zu reissen.
Nicht minder hart arbeiten aber auch die Menschen hier. Die meisten allerdings nur so lange, um genügend Geld für den Kauf eines Stück Landes und den Bau eines kleinen Hauses zusammen zu haben. Die meisten werden Bauern oder Viehzüchter aber es kommen immer genügend Nachfolger um die Tradition des Bergbaus fortzufahren. Tapfere und mutige Männer und Frauen, die keine Staublunge scheuen und nach getaner Arbeit stolz auf ihr Tagwerk sind. Was sonst kann es einem Menschen in dieser unwirtlichen Gegend bedeuten als die Anerkennung, ihrer "Kumpel" und das Zugehörigkeitsgefühl zu diesem zum Teil etwas derben und rüden Menschenschlag, wenn man abends am Lagerfeuer Loblieder singt und sich Geschichten von einem schöneren Leben erzählt und mit Tränen in den Augen an Zuhause denkt, an die Liebste, die auf manch einen jungen Mann in irgend einem Dorf wartet?
Viele halten diese schwere Arbeit nicht lange durch und sind eines morgens plötzlich in Richtung Heimat verschwunden. Den meisten aber hilft es schon, die doch immer wiederkehrende Sehnsucht nach der Heimat in einem der beiden Gasthäuser mit einigen Bechern Wein und Bier hinunterzuspülen, wenn das Heimweh größer wird als der Geldbeutel.

 

Fort Hue San:


Dieses Fort mit dem nahezu unaussprechlichen Namen war einst ebenso wie Andju ein Sklavenjägerstützpunkt, später eine kleine Waldsiedlung, ehe es im Zuge der Kaulata-Vereinbarungen mit den Waldmenschen geräumt werden mußte. Inzwischen wurde auf den Ruinen des alten Dorfes ein Militärfort erbaut, denn die Kriegszüge der Dewa-Oijaniha im Süden ließen das Oberklommando zum Schluß kommen, daß eine Präsenz in Süd-Irakema lebenswichtig ist.
Die Einwohnerinnen und Einwohner Hue Sans hatten es schwer so weit weg von allen größeren Orten. Der Wald ist hier sehr dicht, sodaß eine Anlegung von Plantagen in größerem Umfang kaum möglich ist, doch geben sich die Bauern die allergrößte Mühe, das Beste aus ihrer schweren Lage zu machen, und heute profitieren die Soldatinnen und Soldaten dieser abgelegenen Garnison von diesen Mühen. Trotz allem müssen sie ständig auf der Hut sein. Mitten im tiefsten Regenwald Süd-Irakemas, inmitten des Siedlungsgebietes der Dewa-Oijaniha muß man ständig auf Überfälle oder Diebstähle der Eingeborenen gefaßt sein. Früher kamen diese wesentlich seltener vor als die Überfälle diverser Wegelagerer und Banditen, auch kam es bereits mehr als einmal vor, daß Räuber überwältigt wurden, die als Eingeborene verkleidet waren. Schwer ist es dann, aus echten und falschen Eingeborenen zu unterscheiden und so manches Mal konnte es nur unter größten Anstrengungen bewerkstelligt werden, die aufgebrachten Kemi wieder zu beruhigen.

 

Dorf Neu-Langen:


Außer einer handvoll Handwerkern und Händlern sind alle Einwohnerinnen und Einwohner Neu-Langens Bauern. Früher beherbergte der Ort keine Menschen, sondern diente nur als Lager für die eingebrachte Erde und die Werkzeuge zur Landbestellung. Jeden Tag zogen die Bauersleut' nach Neu-Langen und bestellen die zumeist riesigen Felder, die entlang der Handelsroute angelegt wurden. Der Vertrag von kaulata sah dann die Umsiedlung der Langener Bürgerinnen und Bürger nach Neu-Langen vor.
Hier, so nah an der nördlichen Grenze Kemis, muß man ständig auf der Hut vor Angriffen sein, doch kommen diese äußerst selten vor. Die Bauern wissen sich zu verteidigen und haben schon so manchen Wegelagerer, der es auf das Vieh oder auf die Mengen eingebrachter Früchte abgesehen hatte, in die Flucht geschlagen.
Aus diesem Grunde halten auch ständig fünf Freiwillige in Neu-Langen nachts Wache.
Die Waren werden alle fünf Tage über das ehenmalige Langen nach Andju transportiert. Die leichte Verderblichkeit der Früchte macht dies nötig. Manche Früchte verderben sogar so rasch, daß sie erst kurz vor dem Abtransport geerntet werden können. Dann kann man die voll beladenen Fuhrwerke über die holprigen Wege fahren sehen, während zwei Mann mit Macheten bewaffnet den Weg freischlagen müssen, der in der kurzen Zeit schon wieder zugewachsen ist. Jeder trägt dafür Sorge, daß kein Gran verlorengeht, obwohl es durchaus und bei aller Vorsicht vorkommt, daß ein Wagen auf den nach schweren Regenfällen aufgeweichten Wegen den Halt verliert und so ein Rad oder sogar eine Achse bricht. Für den Fall fährt immer ein Wagen leer hinter dem Troß her und die Waren werden von dem kaputten auf den leeren Wagen umgeladen.
In Andju läßt man sich gern feiern und nimmt die Glückwunschbezeugungen für die gute Ernte entgegen. Die Waren verkauft man dann hier und kann die lauten Stimmen der Bieter hören, die sich gegenseitig übertrumpfen wollen. Achmad Al Ingwer kauft regelmäßig fast den gesamten Bestand an Früchten auf, sodaß die Wagen meist leer nach Langen zurückfahren können.

 

Dorf Meria:


Meria, einst als Rastplatz für die Bauern aus dem Süden auf dem Weg nach Andju eingerichtet, beherbergt heute bereits fast zweihundert Einwohnerinnen und Einwohner. Noch vor fünf Jahren stand hier als einziges Gebäude eine Schänke, dochn dann kam der Kaulata-Vertrag und mit ihm zahlreiche neue Bürgerinnen aus Djado und Seram. Belkannt ist Meria für eine Schänke, die auch heute noch als die komfortabelste Institution Irakemas mit den außergewöhnlichsten Delikatessen gilt. Besitzer Achmad Al Ingwer aus Faser bezieht den größten Teil seiner Köstlichkeiten frisch von den Langener Bauern ubd Schwachhausener Fischerinnen in Andju, weswegen die auserlesenen Gerichte mit Muscheln, Hummer und seltenen Kräutern, Fischen und Früchten auch eine hübsche Stange Geld kosten. Doch das bezahlt man gern und das Geschäft blüht...
Meria ist auch bekannt für die Spielleidenschaft seiner Bevölkerung, so hat man sich vor Jahren ein interessantes und mit ein bißchen Glück auch gewinnbringendes Spiel ausgedacht. Dazu wird ein Stück Grasland in 40 gleich große Felder unterteilt. Hauptdarsteller ist dann eine Kuh, die auf diese Wiese geführt wird. Danach kann man dann so viel man will auf eines dieser Felder setzen und wartet ab, auf welches Feld die Kuh ihre Notdurft verrichtet, was mitunter Stunden dauern kann. Man sagt, daß die Kuh, die dem Bauern Enjo Aljokal gehört, auf die stillen "Kommandos" ihres Herrn hört und ihm schon einen ansehnlichen Nebenverdienst eingebracht hat, was ich mir allerdings kaum vorstellen kann, nachdem ich einmal in die etwas stumpfsinnigen Augen Theklas, Enjos Lieblingskuh, geblickt hatte.
Auch das Würfeln und ein relativ neues Spiel sind sehr beliebt, bei dem man mit mehreren etwa handgroßen Holzkugeln versucht, alle seine Kugeln möglichst nah an eine kleinere Holzkugel zu werfen, wobei man auch die Kugeln des Gegners mit seiner eigenen Kugel wieder von ihrem Platz spielen darf. Von diesem Spiel ist niemand abzubringen, ist es erst einmal in vollem Gange. Selbst eine durchziehende Kompanie Soldaten mußte sich einst einen Umweg suchen, weil auf der Hauptstraße gerade ein Turnier veranstaltet wurde, an dem das ganze Dorf teilnahm, so wurde mir berichtet.
In der Kneipe "Zum Brüllaffen" hat sich noch ein ganz anderes Spiel etabliert. Dazu wurde ein 2 Schritt langer und 1 Schritt breiter Tisch an den Kanten mit Latten versehen, sowie an den vier Ecken und je in der Mitte der beiden langen Seiten mit einem Loch. Mit zwei langen Stöcken versucht man dann mittels einer weißen Elfenbeinkugel je Spieler sieben farbige Kugeln in eines der Löcher zu befördern. Gewonnen hat, wer als erster seine sieben Kugeln "abgeräumt", wie es die Spieler nennen. Der "Brüllaffe" ist neben Al'Ingwers Schänke das beliebteste Lokal Merias und auch andere Einwohnerinnen und Einwohner Irakemas kommen regelmäßig hierher. Bauern aus Andju oder Langen, die man sofort von den Meriaern unterscheiden kann, und Bergleute aus Schwachhausen-Riensberg tauschen hier Informationen aus, erzählen sich Geschichten und zechen bis zum frühen Morgen. Zu diesen Gelagen ist jeder willkommen, denn hier ist niemand ein Fremder, auch wenn er noch nie in Meria war.
Meria ist neben Langen der bedeutendste Platz für den Anbau landwirtschaftlicher Produkte, doch hat man hier sehr mit den schweren Regenfällen zu kämpfen. Der Wald ist nicht sehr dicht und der Regen spült jedesmal große Mengen wertvollsten Bodens fort, weswegen sich die Plantagen immer weiter in den Wald hinein fressen. Doch wirft der Boden immer noch genug Ertrag ab, die Einwohner zu ernähren, denn man hat sich in Meria - Dank der zugezogenen Menschen aus Djado - auf die Verarbeitung der Rohstoffe Irakemas spezialisiert.
Jan Beringer, der hiesige Schnapsbrenner, der ebenfalls aus Djado stammt, ist berühmt für seinen gleichnamigen "Hochprozentigen", der nicht nur Tote aufwecken, sondern auch Lebende in den Tod treiben kann. Dieser Schnaps brennt in einem Glas auch bis zum letzten Rest nieder, weswegen man ihn auch hervorragend zum Anzünden eines Lagerfeuers, als Lampenölersatz oder zum Desinfizieren von Wunden verwenden kann.
So mancher Durchreisende hat sich sofort in die Unkompliziertheit der Einwohner verliebt und blieb gleich da; wurde einer von ihnen. Eine besondere Eigenart ist ihnen allen gemein, das ist die Angewohnheit, des Abends vor ihren Häusern zu sitzen, Musik zu spielen, Tabak zu rauchen, alten Geschichten nachzuträumen oder sich die Zeit bei dem hier weit verbreiteten Kamelspiel zu vertreiben.

 

Ish'Dah'Leh oder die Elfenfreistadt:


Die Elfenfreistadt, von den Eingeborenen Ish'Dah'Leh genannt, was sich höchstwahrcheinlich von dem Wart Isdira abgeleitet hat, beherbergt, wie der Name schon sagt, ausnahmslos Elfen, 41 Elfen der verschiedensten Sippen leben hier.
Wald-und Auelfen, die sich in ihrer normalen Umgebung, den Salamandersteinen, gar nicht so grün sind wie hier.
Gelegen irgendwo zwischen Hue San und der Handelsroute weiter nördlich, die schon fast eine Art Grenze zwischen dem nahezu menschenleeren und wesentlich dichter bewaldeten Südzipfel Irakemas und dem übrigen Teil geworden ist, ist sie die Heimstatt von vom Borbaradkrieg vertriebener und des Abenteurerlebens überdrüssiger Elfen geworden. Daß sich in den Süden so gut wie keine Menschen verirren, ist auch der Grund für diesen sorgfältig ausgewählten Standort des "Spitzohrdorfes", wie es von den Menschen scherzhaft genannt wird. Menschen sind hier, nicht so wie in anderen Elfendörfern, gern gesehen, hört man doch auch hier gern Geschichten, Lieder und Gedichte aus anderen Ländern, doch ist man auch skeptisch gegenüber jedem neuen Besucher, besonders wenn es sich um einen Besucher handelt, der noch gar nicht in die geheime Lage des Elfendorfes eingeweiht wurde.
Den Weg im tiefsten Dschungel Irakemas zur Elfenfreistatt ohne Hilfe zu finden, ist ungefähr so einfach wie einem Stein das Lesen beizubringen. Nur wenige "Auserwählte", zu denen auch ich mich nun voller Stolz zählen darf, wissen die Markierungen der Elfen zu deuten. Die Elfenfreistadt besteht hauptsächlich aus Baumhäusern, die durch Hängebrücken, natürlichen Brücken aus Ästen und Leitern miteinander verbunden sind.
Auch das Haus der vormaligen Akîbet Irakemas, Rileona, die nach dem Tod ihres Mannes unter den ihren den meisten Trost fand, steht hier. In einer Truhe bewahrt sie die Erinnerungsstücke ihres Mannes sowie das Ehrenkreuz 2. Klasse auf, das ihrem Mann nach seinem Tode posthum für seine Verdienste um das Káhet verliehen wurde. Die meiste Zeit hielt sie sich hier auf und kümmerte sich um das Wohl Irakemas. In Andju hielt derweil Goswin von Sturmfels, Finanzminister und Freund der Akîbet, die Stellung, ehe die Akîbet auf immer in die Elfenstadt zog und ihr Amt an ihren Ser Xerax Xerxes Ley übergab.
Mehr darf ich über die Elfenfreistatt nicht erzählen, denn je weniger die Einwohnerinnen und Einwohner Irakemas von ihr wissen, desto lieber ist es den'Elfen trotz ihrer Sympathie für die Menschen. Und dieser Wunsch wird respektiert, empfinden es viele in Irakema doch als Segen, daß die Elfen hier sind; sei es als Heiler oder Zauberer.

 

Fort Hekát:


Folgt man von Schattenspin (von Irakema aus besteht keine Wegverbindung zum Fort) aus einem (sehr schmalen) gerodeten Trampelpfad gen Norden, so gelang man nach etwa 35 Meilen zu dem Ort, wo der entlegenste Grenzposten Kemis stationiert ist: Vor den Augen des Wanderers erhebt sich ein aus Lehm, Bruchsteinen und Holzpfählen errichtetes Fort, bestehend aus einer Umfassungsmauer und mehreren mit Schießscharten bewehrten Gebäuden im Inneren. Neben den Milizsoldaten leben im Fort noch ein Schmied, ein Koch und zwei weitere Zivilisten, die für einige der Instandhaltungsarbeiten gebraucht werden. Neben der Aufgabe als Stationierungsort der Stadtmiliz dient Fort Hekát auch als Grenzposten, da es auch strategisch günstig gelegen ist. Meist befinden sich 5 bis 15 Mann in Fort Hekát, je nach Lage im Norden wird die Besatzung auch durch Laguaner-Ordensleute aus Schattenspin verstärkt.
Man muss auch erwähnen, dass der Akîb mit der durchaus etwas abgeschiedenen Lage Fort Hekáts absolut nicht zufrieden ist, aber ihm fehlen die Mittel, einfach so schnelle Abhilfe zu schaffen. Also wird vorerst alles so bleiben, wie es ist.