Enrisco Nostravio da Vancha

Hátya Ni Yleha

Der Hátya Ni Yleha entstammt einer Familie, deren Linien sich sowohl bis zu einem Niederadeligen des Lieblichen Feldes vor dem Fall Bosparans als auch bis zu einer garethischen Prostituierten zurückführen lassen und die albernisches Söldnerblut mit dem feurigen Blut südaventurischer und liebfeldischer Aristokraten sowie dem Lebenssaft so mancher eingeborener, vor allem kem'scher, Familien durchmischten. Viel prägender aber ist ein anderes Erbe: das Erbe En'Ctiliâr'hs ... das Blut eines yleh'schen Nationalhelden, das sich durch ein kleines rabenförmiges Mal auf der rechten Schulter des Hátyas zeigt ... durch das 'Mal des Rabens'...
Jener Mann, der später zunächst Akîb und dann - von Nisuts Gnaden - Hátya Ni Yleha werden sollte, wurde als Sohn eines Händlers aus Khefu und einer ehemaligen albernischen Söldnerin, die sich in Kemi als Holzfällerin verdingte, in der späteren kem'schen Hauptstadt geboren. Fiorenco Jiratio da Vancha unterwies seinen Sohn in den Künsten, die ein Händler beherrschen muß, wenn er ein Handelshaus wie jenes der Familie zu leiten verstehen soll - hatten die da Vanchas doch lange Jahre damit verbracht es zu seiner versteckten Größe auszubauen. Ja, Enrisco Nostravio da Vancha hatte eine große Zukunft als Handelsherr vor sich, als Herr einer Handelsgesellschaft mit weitreichenden, wenn auch oftmals verborgenen und geheimen Verbindungen im ganzen Süden. Doch Enrisco N. da Vancha zog es in die Ferne. Und wie es schon lange Brauch in seiner Familie war, ließ man ihn ziehen.
Jahre des unsteten, abenteuerlichen Lebens folgten. Jahre in denen der junge Abenteurer zu einem reifen, weisen Mann heranwuchs, Jahre in denen er einige gute Freunde sterben sah und in denen er in vielen großen und kleinen Schlachten kämpfte. Jahre des Glücks und des Unglücks...
Der tiefgläubige Diener Borons, der dem 'Orden der Aufrechten Diener des Göttlichen Rabens Visznar zu Al'Areal und zu Yleha' sehr nahe steht (der Orden mag es gar seinen Verdiensten und seinem Ansehen vor der Nisut verdanken, daß er nicht - damals noch 'ketzerische' Kirche - vernichtet wurde), fand sich in den Schlachten gegen die Oger, die Orken, die Answinisten, die al'anfanischen Invasoren im Kalifat und die verderbte Usurpatorin Isora in der Heimat seiner Mutter, Albernia, wieder. Doch seinen größten Kampf focht er daheim - im Unabhängigkeitskrieg Kemis. Für die Unabhängigkeit, für die Freiheit, für die Nisut, gab er sein linkes Auge, das heute von einer schwarzen, neuerdings bisweilen auch von einer blutroten Augenklappe verdeckt wird. Der Al'Anfaner aber, der ihn sein Auge kostete, konnte diesen Triumph nur einige Herzschläge lang genießen, denn er wurde sogleich das erste Opfer jenes Hasses auf Al'Anfaner für den Enrisco Nostravio da Vancha berühmt-berüchtigt geworden ist - wird doch behauptet, daß jenes blutrote Halstuch, das er bisweilen zu tragen pflegt, mit nichts anderem als mit dem Blut geblendeter Al'Anfaner gefärbt sei. Scheint sein Haß auf Al'Anfa inzwischen gestillt, scheint nur noch Mißtrauen geblieben, so ist der Haß auf einen Mann nie zu tilgen; nur durch dessen Tod. Hat der Intrigant Agustario Devian 'Geppert' H'Kardeen, ehedem fast so etwas wie Enrisco Nostravio da Vanchas Oheim, ein enger Freund von Fiorenco Jiratio da Vancha und Verwalter des Handelshauses der Familie, doch während des Unabhängigkeitskrieges beide Eltern des Hátyas getötet und das Handelshaus für verschiedenste Verbrechen gegen Nisut, Reich und Raben mißbraucht. Dem aber nicht genug - H'Kardeen gelang es den kurz vor seiner Erhebung zum Akîb stehenden letzten Erben der Familie da Vancha von einigen al'anfaner 'Freunden' fangen und verschleppen zu lassen...
Nur Glück und die Hilfe einiger treuer Seelen - darunter Phelippa dela Salmôranes, der Mutter der hátya'schen Drillinge Márachescà, Ishâr'h und Fiorenco und Akîbet Ni Antien'Marét - sorgten dafür, daß der Hátya befreit werden konnte und schließlich in Ylehen sein Akîbsamt einzunehmen vermochte.
Zusammen mit Freunden, Bekannten und Fremden, die sehr schnell seine Freunde werden sollten, zog der neue Akîb gen Yleha und begann einen beispiellosen Aufbau. Aus den Ruinen des alten, untergegangenen, rebellischen Ylehas schuf er ein neues, aufblühendes, nisutstreues und wirtschaftlich starkes Yleha - ohne zu wissen, daß es nur sein Blut war, das die Ylehi dazu brachte ihm nicht mit der üblichen Gleichgültigkeit zu begegnen, die sie bei allen seinen Vorgängern an den Tag gelegt hatten. Doch vielleicht war es auch mehr...
In nur einem knappen Jahr avancierte er vom Akîb zum Hátya, vom Handelsherrn zum -magnaten, vom 'Bewacher' der rebellischen Ylehi zu deren voll anerkannten, ja geliebten Lehnsherrn und vom Herrn einer kleinen Provinz zum Einiger eines alten, zersplitterten Reiches. Vielleicht war es die lange Zeit, die er in seinen abenteuerlichen 'Wilden Jahren' im Lieblichen Feld verbrachte, das Erleben der beginnenden Renaissance Bosparans, das es ihm ermöglichte Yleha so zu gestalten wie es heute ist?
Wer weiß das schon? In jedem Fall hat der 'Erbe En'Ctiliâr'hs' mit der Schaffung eines vollkommen neuen Handelssystems, dem Pochen auf dem Assoziationsvertrag und rigiden Gesetzesmaßnahmen geschafft Yleha aus seiner Isolation heraus zu manövrieren und es zu einer Rolle im Kemi-Reich zu führen, die sich viele prokem'sche Ylehi bereits von Beginn an gewünscht hätten.
Doch nicht nur jene sind es inzwischen in Yleha, die Lobeshymnen auf ihn singen - nein, auch im fernen Lieblichen Feld wurde er derweil mit Ehrungen gesegnet. So ernannte man ihn zum Mitglied der Sankt-Kedio-Loge und zum pavonischen Esquirio, um ihn für seine Verdienste während der Zeit der Roten Seuche in der Drôler Mark zu ehren; hatte er doch seinerzeit an der Seite so manches dabei verstorbenen Helfers versucht die Leiden der Kranken zu lindern...
Aber nicht nur karitative und wirtschaftliche, sondern auch diplomatische und militärische Erfolge pflastern den Weg jenes Mannes, der sich mit so manchem höheren und niedrigeren Adeligen duzt und es mit seinem überaus freundlichen Kurs bisher geschafft hat, das Schifflein Yleha über jede noch so flache Untiefe der Intrigen und zwischen jeder noch so gefährlichen Klippe der Politik hindurch in sichere Gewässer zu steuern: Ein Waffenstillstand mit den Hétáp - nach großen militärischen Erfolgen gegen sie -, die Übernahme der Inseln T'yanyât und Shîntár sowie eingehende Kontakte mit den Catco und den Achaz der Táhátya Yleha seien hier nur einige wenige Beispiele. Letztere seien jedoch auch Zeichen für die Aura des Geheimnisvollen, die den Hátya umgibt; hat er doch nie berichtet, was in den Wochen und Monden, in denen er nach seinem Amtsantritt als verschollen galt, wirklich mit ihm passiert ist, wo er war ... und vor allem warum seither sein rechtes Ohr eines jener Gehänge ziert, das sowohl bei den uralten Catco, dem Alten Volk der ylehischen Wälder, als auch bei den modernen Ylehi bekannt ist...
Wiewohl er in der letzten Zeit aufgrund visznarisch-boronischer Konflikte ins Kreuzfeuer der Kirche, des Reichsadels sowie ganz anderer Freunde und Feinde geraten ist, wiewohl er sich neuerdings mit dem überaus feindlichen Osten seiner Provinz herumschlagen muß; der Hátya ist einflußreicher und mächtiger, geliebter und beliebter denn je ... und daran soll sich, wenn es nach ihm geht, auch so bald nichts ändern. Gerade seine Mitgliedschaft im und sein Mäzentum für den leider noch viel zu wenig bekannten 'Bund der Streiter vom Goldenen Schwerte', eine Adelung zum Executor (ein sehr hoher Beamtenrang) und Duc (welchselbes man wohl mit dem nordaventurischen 'Herzog' gleichsetzen mag... zumindest der Titulatur nach) im Freistaat Ongalo und das Erbe verschiedener brabak'scher Titel, die schon sehr, sehr lange nicht mehr in Händen seiner Linie der Familie da Vancha waren, haben den Glanz des Hátyashauses eher aufpoliert als ihn zu schmälern. Wenngleich natürlich inzwischen Vergleiche mit gewissen yaquirischen Adeligen laut werden, deren Steckenpferd das Sammeln von Ämtern und Würden geworden ist - besonders, wenn man bedenkt, daß der werte Herr Enrisco derweil mit einem weiteren, neuen Titel aufwarten kann: 'Amin al-Thalush' ('Herr der fruchtbaren Berge'), ein nichtssagender Titel, der auf Druck diverser Großgrundbesitzer Thalusas dem Hátya (ihrem neuen, reichen Nachbarn) verliehen wurde; finanzielle Manipulationen von hátya'scher Seite wurden und werden in dieser Hinsicht eindeutig nicht ausgeschlossen.
Es bleibt abzuwarten, was der bisweilen von Visionen, melancholischen, depressiven und zutiefst philosophischen Momenten übermannte, mit seiner thorwalerhaften Statur, dem dunkelbraunen, wogenden Haar und der zart gebräunten Haut eines südaventurischen Aristokraten, der mehr als einen Eingeborenen in seiner Ahnenreihe hat, den tiefschwarzen, glühenden Augen eines Ylehi sowie dem Bartschnitt und Benimm eines horasischen Höflings ausgesprochen eigentümlich wirkende Hátya - hinter dessen Stirn immer einige Pläne ausgebrütet und einige Ereignisse, Erkenntnisse, Bücher oder Artefakte gleichzeitig analysiert und genauestens überdacht zu werden scheinen - in Zukunft zu vollbringen plant ... und zu vollbringen vermag...

Von der Gewandung, Wehr und Lebensstil

Sein Leben lang hat der Hátya eines getan: Er hat mehr oder minder wertvolle Artefakte aus längst vergangenen Zeiten gesammelt und regelrecht archiviert.
Hunderte Artefakte, Kunstwerke, erhaltene Gebrauchsgegenstände, Reliefs, Bücher, Schriftrollen und so weiter und so fort türmen sich in den 'Archiven' des Hátyas auf Djardyon und in anderen Wohnsitzen - alles um ihn herum muß dem einfachen Betrachter wie ein einziges großes, mannigfaltiges Museum erscheinen. Von einem Eslam-II.-Stuhl bis hin zu einem Löffel mit dem Tar Honak gespeist hat, einem Tonkrug altechsischer Herkunft und einer Sammlung historischer Münzen läßt sich so ziemlich alles finden. Hat er einiges davon von seinen Abenteuern mitgebracht, so ist in den letzten Jahren auch vieles durch bare Münze in seinen Besitz gekommen - stetig sind für Enrisco Nostravio da Vancha eine Anzahl Aufkäufer unterwegs, die sich nach Antiquitäten, Raritäten und irgendwie besonderen Dingen suchen. Es ist die Vergangenheit, die ihn schon immer gereizt hat - es sind ihre Geheimnisse, die darauf warten, daß sie der Dunkelheit des Vergessens entrissen werden ... Der Lebensstil des Hátyas erinnert an den horasischer Adeliger oder südaventurischer Aristokraten: luxuriös, verspielt, kunstbetont, geschichtsbetont, ambivalent...
Da werden ganze Räume Djardyons mit Seidentapeten ausgespannt, da werden Täfelungen aus der Hand der besten horasischen Handwerker an den Wänden befestigt, während in anderen Räumen die ursprüngliche ylehische Architektur restauriert oder mit einigen Antiquitäten kem'scher Herkunft ergänzt wird. In vielem gleicht Djardyon in seinem Inneren bereits einem yaquirischen Schloß, in vielem gleicht auch sein Herr einem yaquirischen Adeligen; es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied: Enrisco Nostravio da Vancha ist eben kein yaquirischer Adeliger und wird nie einer sein, denn seine Wurzeln vergißt der Herr Ylehas nie und Dekadenz ist ein Fremdwort für ihn, obwohl er beileibe nicht schlecht lebt...
Üblicherweise sind es nachtschwarze, teilweise leicht mit Brokatstickereien verzierte und aus edlen Stoffen gefertigte Kleidungsstücke, die der Hátya trägt. Innerhalb dieser 'Farbgrenze' trägt er allerdings alles, was an Formen zu finden ist - von Roben über Tuniken bis hin zu 'normaler' Straßenkleidung. Doch auch die schwarze Farbe ist eigentlich kaum maßgebend, denn auch alle anderen Farben, Farbmischungen, -muster und -kombinationen lassen sich in der Garderobe des obersten ylehischen Lehnsherrn finden. Insbesondere auf Festen, Empfängen und bei ähnlichen öffentlichen Angelegenheiten kann man ihn in anderen Farben als dem üblichen Nachtschwarz sehen; wiewohl staatliche Anlässe da eine Ausnahme bilden, denn hier hat man ihn noch nie in einer anderen Farbe als 'seiner' Farbe, Schwarz, auftreten sehen.
Auch im Kampf ist Schwarz die Farbe seiner Wahl: Entweder eine schlichte, schwarze Tuchrüstung oder ein geschwärzter Spiegelpanzer, seltener einmal ein Küraß - durchweg mit einfachen und dennoch schönen Verzierungen - trägt er normalerweise zu seinem Schutze, aber auch eine Anzahl schwerer Rüstungen in teilweise sehr üppig verziertem Design finden sich in der persönlichen Rüstkammer des Hátyas - sogar eine komplette Gestechrüstung mittelaventurischen Vorbildes soll hier vorhanden sein. Für Überraschungen kann der Hátya also immer sorgen...
Ebenso vielfältig und uneinschätzbar ist seine Bewaffnung: Von Schwertern über Säbel bis hin zu Dolchen, Morgensternen, Boronssicheln und Tuzakmessern - einfach alles hat der Hátya irgendwann schon einmal in Händen gehalten und seiner Rüstkammer hinzugefügt. War noch vor relativ kurzer Zeit ein beim Khôm-Feldzug erworbener Khunchomer seine Hauptwaffe, so ist es heute ein En-tay'h, eines jener yleh'schen Schwerter, die schon die Rabenkrieger während des Zenits ylehischer Macht, vor langen Jahrhunderten, trugen und mit absolut tödlicher Genauigkeit zu führen verstanden.

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Enrisco da Vancha schien sein kometenhafter Aufstieg zu Kopf zu steigen. Insgeheim organisierte er bald nach seiner Ernennung zum Hátya eine Verschwörung gegen die Krone, die ihm den Thron eines unabhänigen ylehischen Königreichs unter Protektion der horasischen Familie ay Oikaldiki einbringen sollte. Doch bald flog sein Plan auf, verraten durch die loyalen Offizierinnen Quenadya Mezkarai und Arane Bonhá. Da Vancha gelang es noch, sich mit dem der Bevölkerung abgepreßten ylehischen Staatsschatz und zahllosen Kunstschätzen ins Horaisat abzusetzen, wurde dort jedoch ein Jahr später durch die Mithilfe des Adeligen Ezzelino da' Malagreía von der Außenadministratorin Akilja Algerin gefaßt und nach Kemi zurückgebracht, wo ihm der Prozeß gemacht wurde. Enrisco da Vancha wurde am 1. Travia 27 S.G. zu Khefu geköpft.