Calzin Morganor

Sah Ni Yah'kesen, T'aar der Familie Morganor

Das Oberhaupt der alteingesessenen Kemi-Familie kann man wahrlich eine stattliche Person nennen. Der kräftige Körperbau, seine leise melodiöse Stimme, die spöttisch funkelnden graugesprenkelten Augen und sein sicheres Auftreten machen den etwa 60 Götterläufe zählenden Sah Ni Yah'kesen zu einer beeindruckenden Erscheinung. Calzin, der seit eingen Jahren sehr zurückgezogen in der Familienresidenz zu Yah'kesen lebt, verläßt nur zu besonders wichtigen Ereignissen sein Lehnsgut. Die Geschäfte, die normalerweise die Anwesenheit des Sahs erfordern, läßt dieser mittlerweile stets von seinem älteren Sohn Oboto durchführen, damit Calzin, wie er selbst sagt, sich den wirklich wichtigen Dingen im Leben widmen kann. Da wäre - vor allem - seine Familie, die er zu unterstützen und zu fördern trachtet wo und wann er nur kann, was sich jedoch angesichts der zahlreichen Verwandtschaftsbeziehungen als schier unmöglich erweist. Als zweites ist die reichhaltige Orchideensammlung des Sahs zu erwähnen. Calzin ist ein begeisterter Sammler und Züchter dieser Gewächse, und momentan besitzt er mehr als ein Dutzend verschiedener Arten dieser so sehr von ihm begehrten Blumen. Sein größter Stolz ist derzeit die handtellergroße Jaguarorchidee, die ihm vor einiger Zeit von seiner jüngsten Tochter Sylvién von Benbukkula mitgebracht wurde. Doch am meisten Zeit verwendet der Sah auf die wöchentlichen Gespräche mit Chiakâ - allgemein jedoch nur Lé'gatâr genannt -, einem entfernten Verwandten, der - wie es heißt - in den Kellergwölben der Sah-Residenz lebt.

 

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"Wo ist das Leben?" fragte die glockenklare Stimme durch das Dunkel der tiefen Gewölbe und widerhallte in den endlosen Gängen unter dem Nep'amar. Calzin horchte auf. Es war doch so still gewesen, woher kam diese Stimme? Wo…? Ruckartig sah der alte Kemi hoch und blickte der Leg'atar in die düsteren, verheißungsvollen Augen. Schweigen…
"Wo ist das Leben?" fragte sie noch einmal und fixierte den T'aar der Erben Mor'gath'nors, durchbohrte ihn geradezu mit ihrem starren Blick. Calzin schüttelte verwundert den Kopf und zuckte mit den Achseln. Der nun weit über sechzig Götterläufe zählende Kemi WUSste nicht, wovon seine Verwandte sprach. "Geh naxh draußen, dort ist das leben…" verkündete die Stimme der Leg'atar. "Verrichte dein Werk, T'aar, verrichte es, denn zu dir drang der Ruf noch nicht!"
Nicht … icht … icht … icht… hallten die letzten Worte der Kemi durch die Gewölbe, wie ein Paukenschlag, der einem Paukenschlag folgte.
Calzin erhob sich, wuchtete seinen stattlichen, aber doch alternden Körper nach oben. "Oboto w…" "Oboto wird warten, doch zu dir drang der Ruf noch nicht." Die Leg'atar taxierte den T'aar streng, fast tadelnd. "Geh zum Leben und tue, wie der Herr dir aufgetragen hat. Noch ist die Zeit für deinen Sohn nicht gekommen. Noch nicht …"
Sein Sohn? Ja, Sein Sohn würde nächster T'aar werden. Doch welcher? Calzin konnte sein Haus nicht so im Ungewissen lassen. Und ein jeder seiner Söhne war noch jung und nicht fähig, die Familie zu führen. Ohne noch ein Wort zu sagen, wandte er sich um und schritt ehrfurchtsvoll durch die weiten Gänge der Nep'amar dorthin, wo die Tagessonne auf die Gärten fiel.

 

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Hatte sich der T'aar des Hauses Morganor nach dem grausamen Tod Oboto Morganors, seines liebsten Sohnes, in die Einsamkeit zurückgezogen und stets die Nähe der Leg'atar gesucht, so trat er eines Tages als sei es seine eigene Wiedergeburt wieder hervor. Er sprach nicht über das, was in den Gewölben geschehen war, sondern verrichtete das Werk des T'aar.
Auffällig war nur, wie sehr er sich nun um seine Söhne Neme'chot und U'rave bemühte. Beide wurden oft zum T'aar gerufen … Doch verwundert dies nicht, denn bedenkt, dass nur der Sohn des T'aar T'aar werden kann und nur diese beiden sind Calzin geblieben. Oboto tot, Borodrigo … tot.
Doch auffällig ist auch die Veränderung des alten Patriarchen. Sein Gesicht eingefallen und faltig, als sei er über Nacht gealtert, sein Körper nicht mehr so üppig wie vor Zeiten und sein Haar grau und lang. Aber das Feuer, das in seinen graugescheckten Augen brennt, ist heiß und verheißungsvoll. Die Trya'deren existieren und auch wenn Tanîth Pâestumai verstorben ist, sein Geist lebt weiter in seiner Familie. Nur noch Calzin und Boromil sind übrig wer wird als nächstes fallen?